Bericht von Heinrich Janzen jun., über seine Auswanderung aus Turkestan nach Amerika in der „Mennonitische Rundschau“ Nr. 45, vom 11. November 1891, S. 1

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 45, vom 11. November 1891, S. 1. (gotisch) von Elena Klassen.

 

 

Indem ich gerne an viele Freunde zugleich schreiben möchte, und die werthe „Rundschau“ die Nachrichten auch in das ferne Asien trägt, so weiß ich kein besseres Mittel mein Ziel zu erreichen, als meine Zeilen diesem treuen Boten anzuvertrauen.
Zuerst will ich den lieben Freunden kund thun, daß uns der Herr glücklich ans Ziel unserer Reise gebracht hat. Wie bekannt, fuhren wir, nachdem wir von den Eltern und allen lieben Freunden und Geschwistern Abschied genommen, von deren Segenswünschen begleitet, den 22, Juli a. St. (3 August) von Aulie – Ata in Turkestan, Asien, per Achse ab und kamen den 29. nach Taschkent, wo wir uns die nöthigen Reisepapiere auswirkten. Den 1. August fuhren wir von Taschkent auf einer zweiräderigen, hohen Arba mit einem Ssartischen Fuhrmanne, der nach Landessitte auf dem Pferde ritt, ab. Es war ein böser Mensch, und wir hätten seine beiden über 1 Fuß langen Messer wohl gefürchtet, wenn wir landesfremde Leute gewesen wären, aber wir kannten Sitten und Sprache ziemlich genau. Als wir bei Tschinas den Syr – Darja passirt hatten, befanden wir uns in der Tschul (Hungersteppe) die uns wohl zeitlebens im Gedächtnisse bleiben wird. Wir fuhren nur nachts und am Tage mußten wir schmachten. Wenn ich an unsere Erlebnisse in dieser Wüste denke, an den brennenden Durst, an das ungenießbare stinkende Wasser, an die von einer Pflanze stinkende Luft, an die Hitze, die so groß war, daß die Erde am nackten Fuß Blasen erzeugte, welches alles meine Familie niederstreckte als ob sie gleich sterben würde, und selbst den an das Clima gewohnten Fuhrleuten eine tüchtige Krankheit beibrachte, dann kann ich nicht genug dem Herrn danken, daß er uns so gnädig durchgeholfen hat.
Nach einer Strecke von 94 Werst gings wieder besser und den 8. August kamenm wir glücklich nach Samarkand am Sarafschan. Von dort gings per Bahn über verschiedene Städte, wie Tschardschui am Amu – Darja, Merw, Aschabad und Kislei – Warwat (Kisil – Arwat, heute Serdar – E.K:), nach Usun – Ada am Caspischen See. Wir staunten über die Sandwüste, durch welche wir fuhren. Nur eine Eisenbahn mit vielen Sandschauflern macht es möglich, dort so gemüthlich zu reisen. Wir stiegen den 11. in ein Schiff und kamen den 14. glücklich in Astrachan an. Dann gings auf der Wolga bis Zarizyn und von dort per Bahn bis Kalatsch am Don, wo wir drei Tage warten mußten. Den 20. bestiegen wir das Schiff und kamen nach einer sehr langsamen Fahrt, auf der das Schiff oft stecken blieb und bis vier Stunden auf einem Platz arbeitete, in Rostow an.
Den 24. fuhren wir von dort auf dem Asowschen Meere ab und kamen den 26. nach Berdjansk, von wo wir per Achse weiter fuhren und am andern Tage in Prangenau anlangten. Hier will ich bemerken, daß es viel besser ist von Usun – Ada über Baku, Tiflis, Batum, Kertsch nach Berdjansk zu reisen.
In der Molotschna – Colonie hielten wir uns eine Woche auf, konnten jedoch unseres sterbenskranken Kindes halber nicht viele Freunde besuchen. Es war ein Söhnlein von ziemlich 1 ½ Jahren, welches den Durchfall, von dem es in der Hungersteppe befallen worden, noch nicht los war und obzwar wir Alles thaten um zu helfen, zu einem Gerippe abgezehrt war. Den 2. September starb es und nachdem die liebe Freunde rasch ein Särglein gezimmert hatten, begruben wir es auf dem Prangenauer Friedhofe. Dort also ruht die Leiche unseres lieben Söhnleins David. Sein Tod hat uns viel Schmerz verursacht.
Den lieben Freunden sage ich noch herzlichen Dank für die an uns bewiesene Liebe und Theilnahme. Besonders danke ich David Funken, Tante Peter Janzen und ihren Kindern Bargen und Regehren.
Den 3. September stiegen wir bei Michailowka in den Zug und dann gings über Charkow, Woroschba, Minsk und Kowno, wo wir die Pässe vidiren ließen, nach Endtkuhnen (in Ostpreussen – E.K.), wo wir den 7. alten St. (19. neuen St.) ankamen. Den 20. fuhren wir durch Berlin und den 22. gelangten wir nach Bremen.
Den 24. September fuhren wir mit dem Dampfer „Weimar“ von Bremen ab. Den 29. und 30. hatten wir ziemlich unruhiges Wetter und den 5. Oktober Sturm. An der Seekrankheit litt ich drei Tage, meine Frau und ihr Bruder Heinrich  zehn Tage. Der ungenießbaren Speise halber rathe ich Niemand, den „Weimer“ zu besteigen. Endlich den 8. Oktober konnten wir in Baltimore ans Land steigen und fuhren noch denselben Tag per Bahn weiter über Cincinnati, St. Louis und Kansas City nach Hillsboro, wo wir den 11. Oktober um 5 Uhr abends ankamen. Die Eltern und Geschwister, auch einige Freunde standen zum Empfang bereit. O! das war ein Wiedersehen nach sechsjähriger Trennung! Es war ein kleiner Vorgeschmack des Wiedersehens jemseits des Jordans, wozu uns der liebe Heiland allesammt zubereiten möge. Nach zehnwöchentlicher Reise befinden wir uns also wohlbehalten bei den lieben Eltern und unsere Adresse ist für diesen Winter die ihrige, nämlich: Heinrich L.Janzen, Hillsboro, Marion Co., Kansas.
Alle Freunde in Asien herzlich grüßend, bitte ich um viele Briefe.
Heinrich Janzen jun. (fr. Asien.)

   
Zuletzt geändert am 29 April, 2018