Nikolaipol, Turkestan, den 6. August.
Es geht mir wie Otto Funke schreibt, der schwerste Beruf ist die Berufslosigkeit. Ich bin so gesund, wie es ein Mensch in meinem Alter nur sein kann, nur die Lunge versagt ihren Dienst bei körperlicher Anstrengung. So untätig bei meinem regen Geist dasitzen ist gefährlich. In meiner Jugend tat ich lieber die gemeinsten und schwersten Arbeiten, als Aufsätze schreiben.
Vorigen Sommer war ich in meinem alten Vaterlande Preußen, wo alle Mennoniten in Rußland her sind. Die Ersten und Meisten sind aus meiner Gegend im sogenannten großen Werder zwischen Weichsel und Nogat, das zeigen die Dorfs – und Familienamen und der Dialekt an.
Von Wernersdorf bis Altonau an der Molotschna sind außer 2 alle Dorfsnamen nach den preußischen Dörfern genannt, ebenfalls von Ohrlof bis Fürstenwerder. Die Preise der Grundsrücke sind sehr hoch gestiegen. In der Zeit, als ich dort war, wurden 28 Morgen mit Gebäuden und vollem lebenden und totem Inventar für 62 000 Mark verkauft. In einer der größten Käserei frug ich, wie viel Milch sie aufs meiste täglich verarbeiteten. Mir wurde gesagt 10 000 Liter. Alles wird mit Dampf betrieben, die Molken werden frisch ausgeschleudert und gleich gebuttert. Man könnte noch vieles erzählen, aber wenig gutes. Jemand sagte zu mir, es darf nur ein wenig schief gehen, dann sind die Hälfte der Wirtschaften in den Händen der Juden.*)
Der mennonitische Pastor Mannhardt in Danzig, welcher nicht glaubt, daß Christus Gottes Sohn ist, hat Predigten herausgegeben, dieselben werden von Predigern und Aeltesten empfohlen und verbreitet.
In einer Adventspredigt sagt Mannhardt buchstäblich also: Die ersten Christengemeinden zwar warteten auf eine Ankunft ihres Herrn, wir aber deuten die Worte anders von seiner Zukunft und niemand unter uns rechnet auf diese einst so sehnlichst erhoffte, heute nur noch von Schwärmern geglaubte Wiederkunft Christi. Brons, Emden, sagt in der 7. Nummer 1907 der „Mennonitischen Blätter“: Wir üben Bibelkritik.
R. bei Einlage warf in der Konferenz zu Tiegenhagen bei Tiegenhof Westpreußen die Frage auf: Was dünket Euch von Christus, wes Sohn ist er? Was ist zu machen, daß die Leute gewarnt werden? Ich habe deswegen schon recht viel geschrieben, bekomme aber keine Antwort als von einem.
M. predigt doch sehr schön und wirkt im Segen, wenn er auch etwas freisinnig ist. Es ist ihm so eingepaukt worden. Wenn man einen Zug auf den Schienen sähe, und man sähe eine Brücke wäre schadhaft geworden, dann würde man doch mit aller Gewalt Lärm machen, um ein Unglück zu verhüten. Und hierzu stillschweigen?
Ein kleiner Sonnenstrahl ist gerade im östlichsten Ende dieses Orts aufgegangen durch ein Geisteswehen. Der Herr wolle es weiterführen.
C.J.Wall, sen.
*) also meistens schwer mit Schulden belastet? D.R. |