Kopie der Zeitschrift "Mennonitisches Jahrbuch 1913". D. Epp. Teil 5: S. 120-147.
Die Tereker Ansiedlung.
Es ist recht schwer, über unsre Ansiedlung einen Artikel fürs Jahrbuch zu schreiben. Wären in den vorherigen Jahrbüchern fortlaufende Berichte von unserer Ansiedlung enthalten, so dürfte man nur an dieselben anknüpfen und weiter berichten. Das ist nun nicht möglich, und da weiß ich keinen andern Rat, als die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1913 aufzuzeichen.
Zunächst, was unsere Tereker-Mennonitengemeinde betrifft, so durchlief am 5. März unsere Dörfer die schauerliche Nachricht, daß am 4. März in Kameschlak Nr. 14, zwei Jünglinge, unser Gemeindeglied Jakob Siemens und Jakob Dürksen, Rudnerweider Gemeindeglied, im Streite mit Tawlienen (tatarische Schafhirten) beim Schafeeinpfänden einen schwer verwundet und einen erschossen hätten. Nach eingezogener Erkundigung bestätigte sich die Nachricht. Schon längere Zeit hatten die Tawlienen ihre Schafe auf der Weidesteppe und dem Heuschlag von Nr.14 geweidet. Um dieses endlich aufzuheben, entschlossen sich die Nr. 14 die Schafe einzupfänden und gingen zu diesem Zwecke am 4 März gegen Abend mit ihrem tatarischen Hirten zu den wieder auf ihrem Heuschlag weidenden Tawlienen. Während ihr Hirte den Tawlienen Vorstellungen machte, wegen ihres Weidens auf fremden Boden, trieben die Nr. 14er eine kleine Herde Schafe dem Dorfe zu. Als dieses die Tawlienen bemerkten, stürzten sie sich mit erhobenen Dolchen auf die Ansiedler, versuchten ihnen die Flinten zu entreißen und stachen und schlugen mit den Dolchen nach ihnen. Hätte Jakob Dürksen nicht eine starke und große Pelzmütze aufgehabt, so hätten sie ihm jedenfalls den Kopf gespalten, so aber kam er mit einer leichten Schramme hinterm Ohr davon. In diesem Handgemenge nun vergaßen sich die Jünglinge, vergaßen unser Glaubensprinzip, die Wehrlosigkeit, und um das eigene Leben zu retten, erschoß Jakob Siemens einen Tawlienen und Jakob Dürksen verwundete einen andern schwer an der Schulter. Die Sache wurde vom Untersuchungsrichter aufgenommen, ist aber bis heute noch nicht vor Gericht gekommen; die Jünglinge dürfen sich zu Hause aufhalten. Unsre Gemeinde glaubte zu diesem Fall ganz entschieden Stellung nehmen zu müssen. Onzwar es zugegeben wurde, daß Jakob Siemens in höchster Notwehr so gehandelt hatte, so wurde seine Tat doch als eine Übertretung unsres Glaubensbekenntnisses bezüglich der Wehrlosigkeit angesehen und er in den Bann getan.
Nachdem das Weiterbestehen unserer Ansiedlung, und somit auch unserer Gemeinde aufgehört hatte eine Frage zu sein, empfand unsre Gemeinde die Notwendigkeit, noch etliche Prediger zu berufen. Auf der Bruderschaft am 16. April im Bethause bei Müdelburg (Nr. 10) wurde der Beschluß gefaßt, am 5 Mai eine Predigerwahl abzuhalten und noch vier Brüder zu wählen, wenn möglich je zwei auf jeder Seite der Ansiedlung. Mit Gebet wurde dann am 5. Mai zur Wahl geschritten und wurden die Brüder David Balzer – Talma, Lehrer Gerhard Wiens – Wanderloo, Jakob Bärg – Marjanowka und Wilhelm Pankratz – Müdelburg gewählt. Die drei ersten haben dem Rufe schon Folge geleistet und predigen bereits fleißig; wir sind der festen Zuversicht, daß sie unserer Gemeinde zum Segen sein werden. Der letztgenannte Bruder kann sich noch nicht entschließen, dem Rufe zu folgen. Er glaubt, zu wenig Kenntnisse zu haben.
Am 28. September traf unsern Prediger Dietrich Klaßen Nr. 14 ein schweres Unglück. Während er zu Beratungen in Schulangelegenheiten beim Ältesten weilte, ging sein Sohn Dietrich, 29 Jahre alt, nit der Sense aufs Feld, um einen Acker vom gröbsten Unkraut zu reinigen und dann daselbst noch Winterweizen zu säen. Auf dem Acker stand so starkes Kraut, daß es mit der Sense nicht möglich war abzumähen. Da legte er die Sense hin, um das Kraut mit den Händen auszuziehen. Dabei torkelt (schwankt – E.K.) er, tritt auf den Knebel am Sensenbaum, die Sense richtet sich mit der Spitze nach oben, er verliert das Gleichgewicht, fällt auf die aufgerichtete Sense, und dieselbe bohrt ihm bis zum Rückgrat in den Unterleib. Trotz der furchbaren Schmerzen, zieht er sich selbst die Sense aus dem Leib, hält mit einer Hand die Wunde zu, in die andre Hand nimmt er die Sense und geht nach Hause, etwa 300 Faden. Doch die Wunde war tödlich, und nach 20 Stunden voll furchbarer Schmerzen starb er. Der Schmerz der Eltern, und besonders des Vaters, waren unbeschreiblich. Diese Unglück hat die Atbeits- und Lebenskraft des lieben Bruders ganz untergraben. Heute, am Ende dieses Jahres, liegt er vom Schlag gerührt darnieder. Dem Herrn allein ist`s bewußt, ob er noch einmal so weit genesen wird, daß er für seines Herrn Reichssache arbeiten wird. *)
Unsre Schulen müssen in diesem Jahr eine reinigende Krisis durchmachen. Der neue Direktor unseres Rayons lehnte die Bestätigung aller Lehrer ohne Lehrerzeugnis ab, so daß etliche Schulen ohne Lehrer sind.
Abgesehen von dem zuerst berichteten traurigen Fall, hat unsre Gemeinde hohe Ursache dem Herrn zu danken, denn er hat im zurückgelegten Jahr sich zu der Arbeit in und an der Gemeinde bekannt und sie gesegnet.
Auf wirtschaftlichem Gebiet brachte das Jahr 1913 uns viel Arbeit, aber aus der Arbeit den Segen des Erfolges und der Erfahrung. Das Jahr 1913 wird das denkwürdigste für uns Tereker bleiben. In diesem Jahre wurden die ersten Erfolge der mit neuem Mute in Angriff genommen neuen Wirtschaftsmethode, der Bewässerung nämlich. Eingeheimst. Und die zum Bewässern nötige Menge Wassers zu erlangen, wurden die größten Anstrengungen gemacht. Zum Instandsetzen des Wassersystems, besonders unsres Hauptkanals Talma, oberhalb unsrer Ansiedlung, sind von uns 5000 Rbl. verausgabt worden. Dann sind aus unserm Hauptkanal Talma viele neue Kanäle gegraben und alte ausgebessert worden. Im Herbst und Winter 1912 wurde der Anfang gemacht mit dem Bewässern. Es wurden auf 100 Wirtschaften 650 Dessjatinen Winterweizen und zur Frühjahrssaat 191 Dess. Bewässert. Der Ernteertrag von der bewässerten Dessjatine war 8-20 Tschetwert, wogegen das unbewässerte 2-5 Tschetwert gab. Wenn die in den letzten eineinhalb Jahren neugegrabenen Kanäle zusammengezogen werden, so ergibt das eine Länge von 156 Werst, bei einer Breite von 1 ¼ -3 Arschin. Unzählig ist die Zahl der kleinen Kanälchen, die jeder längs und durch seine Äcker gemacht hat. Und so sind in diesem Herbste bewässert worden: 1411 Dess. Weizen, 68 Roggen und 225 Dess. Wintergerste. Durch die Möglichkeit, die Gärten zu bewässern, ist im zurückgelegten Jahr dem Obst- und Weinbau auch mehr Beachtung zugewandt worden. Es sind im Jahr 1913 8586 edle Obstbäumchen und 20500 Weinreben gepflanzt worden.
Manchem Leser des Jahrbuches sagen die angeführten Zahlen vielleicht wenig; manchem sind die womöglich zu klein. Uns Ansiedlern aber sagen diese Zahlen sehr viel. Denn, wenn es in Betracht gezogen wird, wie weit unsre Ansiedlung heruntergekommen war, so weit, daß man uns in den Muttergemeinden schon aufgegeben hatte, ja viele unsrer Ansiedler sich selbst aufgaben, dann sind im jetzt zu Ende gegangenen Jahre auf dem Terek Wunder geschehen. Und jede oben angeführte Zahl erzählt von viel schwerer Arbeit, großem Mut und noch größerer Hoffnung auf die Zukunft. Daß wir nicht allein stehen im Hoffen auf eine lichte Zukunft für den Terek, beweisen die Ankäufe von auswärts hier unsrer Ansiedlung. Ich lasse wieder Zahlen reden: Im Jahr 1913 sind 5 Familien von hier weggezogen auf gekauftes Land bei der Station Suworowka. Von Ansiedlern, die den Terek auf Nimmerwiedersehen verlassen hatten, sind in diesem Jahr 10 Familien zurückgekehrt. Ankäufe von auswärts haben 17 stattgefunden; davon sind 7 Familien schon hergezogen, die andern jedenfalls bald folgen. Die Wirtschaftspreise steigen, wenn auch nicht rapid, so doch stetig; hauptsächlich in den Dörfern von Nr. 1 bis Nr. 10, die sich mit der Mutterkolonie auseinandergehandelt und den Kaufbrief erhalten haben.
Auch die beinahe jedes Jahr wiederkehrende Heuschreckenplage glauben wir überwunden zu haben. In Herbst 1912 hatten die Heuschrecken auf unsrer Ansiedlung ein Areal von 500 Dessjatinen längs dem Aktaschfluß mit Samen belegt. Zum Vernichten der Heuschrecken sandte die Regierung uns einen Instrukteur und Automax Spritzapparate. Mit diesen Spritzen wurden die Flächen, wo die Heuschrecken auskamen, in der Zeit vom 25. Mai bis zum 15. Juni, an 9 Tagen, mit einer vom Instrukteur zusammengestellten Flüssigkeit bespritzt. Gearbeitet haben in dieser Zeit von 15 – 51 Mann. Die Regierung hatte von sich aus für jeden Arbeiter 75 K. pro Tag und 2 Rbl. pro Fuhrwerk assigniert. Unsre Wolostgemeinde assignierte auch noch für jeden Arbeiter 75 K., so daß jeder Arbeiter 1 Rbl. 50 K. pro Tag erhielt. Es sind zu diesem Herbst 364 Rbl. 75 Kop. verwendet worden. Es gelang alle Heuschrecken zu vernichten, so daß in diesem Herbst auf unserm Lande die Heuschrecken keinen Samen gelegt haben, wohl aber in der Nachbarschaft etliche Flächen, die jedoch jetzt schon von Zeit zu Zeit inspiziert werden, so daß wir uns der frohen Hoffnung hingeben, im nächsten Jahre mit den Heuschrecken wenig oder gar keine Arbeit zu bekommen.
Und wenn ich am Ende des Jahres 1913 meinen Blick in die Zukunft sende, dann entrollt sich vor meinem Blicke ein liebliches Bild: Die Dörfer mit herrlichen Obst- und Weingärten umgeben. Unser ganzes Land eine blühende Oase. Alle Kanäle und Kanälchen mit Weiden und Pappeln beflanzt, die bei dem immer fließenden schönen Gebirgswasser wunderbar gedeihen und Schutz bieten gegen die verheerenden Stürme und den heißen, trockenen Ostwind zu einem kühlen Luftzug machen. Keine Spur mehr vom Flugsand. Im Nordosten unsrer Ansiedlung, an den Limanen des Kaspimeers, sehe ich Schlammbäder und Heilanstalten entstehen, wo die Kranken von nah und fern Linderung und Genesung finden. Und so wird der verfluchte Terek zu einem Ort des Glücks und Wohlergehens, denn der Fluch hat sich in Segen vewandelt.
Todesanzeige über Prediger Dietrich Klassen, Tereker Ansiedlung in der "Mennonitische Rundschau" vom 17. Juni 1914.
von dem Vater und Sohn Dietrich und Dietrich D. Klassen aus Tereker Ansiedlung, Kameschlak Nr. 14 haben mittel- oder unmittelbar mit dem unb. Foto Nr. 8 zu tun. Wer hat die Infos dazu???
Die Infos bitte an folgende Adresse schicken – anklassen@tonline-de (E.K.)
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