Kopie der Zeitschrift "Mennonitisches Jahrbuch" 1913. Teil 7: S. 180-203.
Der liebe Hausvater und Gründer des Waisenhauses hat mir auch in diesem Jahre wieder etwas fürs Jahrbuch zur Verfügung gestellt. Ich lasse seinen Brief folgen, von seiner freundlichen Erlaubnis, einige kleine Veränderungen und Abkürzungen vornehmen zu dürfen, Gebrauch machend. Er schreibt:
„Lieber Br. G. Harder! Auf Deine Aufforderung im „Botschafter,“ etwas über unsere Arbeit im Waisenhause fürs Jahrbuch zu schreiben, will ich versuchen, Deine Bitte zu erfüllen. Wenn wir zurückblicken auf das, was das Jahr 1913 uns bis jetzt gebracht hat, dann müssen wir sagen: Es brachte sehr viel Gutes, aber auch Schweres. Der treue Gott sorgte väterlich für alle unsere Bedürfnisse. Nie hatten wir Mangel, auch wenn es schien, als wollte er einkehren. Der Herr gab immer alles zur rechten Zeit. Ihm sei Lob und Dank dafür! Besonders dankbar sind wir für das schöne Sommerhaus „Sichem,“ welches wir im letzten Frühlinge bauten. Es war im Laufe des Sommers und Herbstes eine wahre Zufluchtsstätte vor Regen und Sonnenschein. Es ist ganz aus Holz gebaut, 10 ½ Faden lang und 3 Faden breit. Die Hoffseite ist so viel offen, daß Licht und Luft genügend einkehren können. Viel Vergnügen macht die lange Kegelbahn in „Sichem.“ Sie ist ein Geschenk des verstorbenen H.Hermann Neufeld – Halbstadt. Besonders gerne speisten die Kinder und auch die andern Glieder der Anstaltsfamilie während der Sommermonate in „Sichem.“ Während „Eben-Ezer“ (siehe Jahrb. 1912 Seite 128) ausgefärbt wurde, hatten wir unsere sonntäglichen Andachten in „Sichem.“
Im Laufe des Jahres durften wir wieder 13 Kinder aufnehmen. Zwei Halbwaisen, welche im vorigen Jahre aufgenommen worden, wurden von ihrer Mutter, welche sich wieder verheiratete, zurückgenommen. Gegenwärtig haben wir 50 Waisen, für welche wir mit Gottes und guter Freunde Hilfe nach allen Seiten hin sorgen können. Von diesen 50 Kindern werden 29 in unserer Anstaltsschule unterrichtet, 3 besuchen die Hamdelsschule in Alexanderkrone, 11 sind noch nicht schulpflichtig. 2 Waisen helfen vorläufig in einer Bauernwirtschaft und 5 werden in unserm großen Haushalt beschäftigt. Im Monat Mai wurden die von den Kindern unter Leitung eines Handarbeitslehrers verfertigten Sachen in Rückenau durch öffentlichen Ausruf verkauft. Es war ein dunkler, regnerischer Tag, und doch brachte der Ausruf etwas über sechshundert Rubel ein. Froh traten wir mit unserer Schar die Heimreise an. Der Herr gab uns Mut, im nächsten Schuljahr auch in unserer Handarbeitsschule wieder weiter zu arbeiten. Weil Lehrer Janz seinen Posten als Handarbeitslehrer unserer Waisen aufgeben muß, so ist es unsere Bitte zum Vater der Waisen, uns einen passenden Mann für diesen Posten zu schenken, der als tüchtiger Lehrer und Erzieher das angefangene gute Werk zum Segen unseres Hauses fortsetze. Der Gott, welcher bisher in schweren Tagen und Stunden half, wird auch weiter helfen. Es ist ja seine Sache.
Im Monat Januar bekamen wir durch einen Knaben, den wir aufnahmen, die Masern in unser Haus. 17 Kinder lagen gleichzeitig darnieder. Die Schlafzimmer der Kinder verwandelten sich in Krankenzimmer. Einige wurden sehr krank. Gott war gnädig. Alle wurden gesund. Unsere verkrüppelte Agnes mußte längere Zeit schwer an ihrem Körper leiden. Einen ganzen Monat war sie im Muntauer Krankenhaus, wo sie einer Operation unterzogen wurde. Der Arzt konnte ihr anfänglich wenig Hoffnung auf Besserung geben. Der Herr aber half so weit, daß sie wieder in unser Heim zurückkehren durfte. Eine Schwester (Helferin) lag 5 Wochen an Darmentzündung krank darnieder. Der große Arzt, welcher so wunderbar kann, machte auch diese Kranke wieder gesund. 5 Schwestern gehören gegenwärtig zu unserer großen Familie. Eine davon ist behufs (zwecks – E.K.) weiterer Ausbildung in Deutschland. Sie soll, wenn Gott Gnade gibt, Oberschwester werden.
Eine besondere Freude wurde mir im Oktobermonat zuteil. Ein lieber Bruder, dem der Herr diese Liebe reichlich vergelten möchte, ließ mich auf seine Rechnung nach Deutschland reisen, um dort mehrere Waisenanstalten zu besuchen. Ich bin festen Überzeugung, daß unser Waisenheim davon Nutzen haben wird. Die Reise ist nicht vergeblich gewesen.
Rückblickend auf alles, was Gott an uns und durch uns b i s h e r getan hat, rufen wir aus: „Herr, ich bin nicht wert aller Barmherzigkeit und Treue, die du an uns beweisen hast.“ V o r w ä r t s s c h a u e n d in die Zukunft, da in der stets wachsenden Anstalt der Raum zu enge, Speisesaal, Küche und Backofen leicht zu klein werden können, rufen wir ebenfalls mit dem Psalmisten aus: „Herr, Gott, du bist uns`re Zuflucht für und für.“ Ps. 90,1 Es ließe sich noch mancherlei zur Ehre unseres Gottes aus unsern Erfahrungen erzählen. Um den Bericht nicht zu lang zu machen, schließen wir hiermit mit der freundlichen Bitte an alle Leser des Jahrbuches, unser und unseres Waisenhauses in Großweide fürbittend zu gedenken!
Die Hauseltern: A.Hardes.“
Unter der Überschrift: „Was mich bewegte“ erhielt ich von einem lieben Bruder, welcher weiter nicht genannt sein will, eine kurze Zuschrift fürs Jahrbuch. Er schreibt: „Es sind mancherlei Gaben, aber es ist ein Geist. Und es sind mancherlei Kräfte, aber es ist ein Gott, de da wirket alles in allen.“ (1 Kor.12,4 und 6) Diese Worte bewegten mein Herz, als ich unlängst „Bethania“ besuchte und die selbstverleugnende Arbeit der „Brüder“ und „Schwestern“ beobachtete. Dieselben Gedanken schwebten mir auch bald darauf vor, als ich die Waisenanstalt in Großweide besuchte. Das teure Haupt seiner wahren Gemeinde hat heute noch Gaben und Kräfte in den Anstalten – Arzt, Hauseltern, Pfleger und Pflegerinnen ect. und a u ß e r h a l b derselben – Beter und solche, die Liebesgaben spenden. |