Meldungen und Berichte über das Waisenhaus in Grossweide in der „Friedensstimme“ und ein Auszug darüber aus dem Buch „Geschichte der Alt-Evangelischen mennoniten Brüderschaft in Russland“, von Friesen P. M.

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

 

Meldung über Waisenhauseinweihung von Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 42 vom 21. Oktober 1906. (die Meldung wurde auch in der „Men. Rundschau“ vom 28. November 1906, S. 9 geschaltet)

 

Die Waisenanstalt in Großweide wird am 29. Oktober eingeweiht und werden alle Freunde der Sache und Wohlthäter zu dieser Feier herzlich eingeladen.
Abr. Harder
Anmerkung -  Das junge Werk ist in weiten Kreisen unserer Mennonitenschaft noch wenig oder gar nicht bekannt. Vielfach begegnet man demselben Vorurteile, oder man steht wenigstens abwartend demselben gegenüber. Die Einrichtung und Unterhaltung  der Anstalt beruht ganz und gar auf dem Grundfaß der freiwilligen chtistlichen Liebe. Ich möchte deshalb alle Geschwister in Christo, die der Herr mehr oder weniger mit irdischen Mitteln gesegnet hat, bitten, sich vor Gott zu fragen, ob sie nicht auch hier eine Aufgabe haben. Es wäre auch zu empfehlen, hinzufahren und das Werk in Augenschein zu nehmen.
In einem Brief, den Bruder Harder an mich vor einiger Zeit schrieb, meldet er, daß er jetzt bereit ist, Waisen anzunehmen, dieser Brief ist leider auf der Post verloren gegangen. Wie ich aus seiner mündlichen Mitteilung verstand, werden bei der Aufnahme Ganzwaisen im Alter von drei bis sieben Jahren in erster Linie berücksichtigt, es werden aber auch, wo die dringende Notwendigkeit vorliegt, Halbwaisen aufgenommen.
A.Kr.

 

 

Bericht von Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 22 vom 2. Juni 1907, S. 284

 

Großweide. 14. Mai. Von den Erben des verstorbenen Bruders Franz Martens erhalten 200 Rbl. Von Geschw. Schmidt erhalten 200 Rbl.
Es geht uns oft in unsrer Arbeit so, wie es im 13.Psalm heißt: „Daß wir nach langer Sehnsucht um Hilfe uns freuen und danken können für Sein Tun.“ Wenn der Anfang bei der Gründung unsrer Arbeit auch recht schwer war und wir auch jetzt noch manchen Rubel zum Bauen und Einrichten brauchen werden, so sind wir doch getrost, denn wir haben schon manche herrliche Erfahrungen und Gebetserhörungen machen dürfen. Vor Ostern konnte ich den Maurern, welche verschiedene Arbeit gemacht hatten, nicht auszahlen, was wir dem lieben Herrn sagten, und ehe die Maurer die Arbeit gemacht hatten, bekamen wir 25 Rbl. von einem Freunde geschickt. Zu Ostern fehlte uns verschiedenes, was der liebe Herr uns auch zu rechter Zeit zukommen ließ von einem alten Großmütterchen aus Omsk. Solche und ähnliche Erfahrungen machen wir recht oft, was uns dann tief beugt und wodurch der liebe Gott uns immer größer wird. Der liebe Herr wird es allen Spendern reichlich vergelten. Waisenkinder haben wir bis jetzt fünf in unser Heim aufnehmen dürfen, wovon einer Krüppel ist und bis jetzt noch keine Schuhe getragen hat. Auch hat der liebe Herr es uns möglich machen lassen, daß wir in unser Heim einen Andachtssaal einrichten konnten, wo wir Sonntag nach Ostern das erstemal Gottesdienst halten durften und künftig jeden Sonntag halten wollen. Wir hoffen, daß uns dazu recht viele Brüder besuchen und unsrer gedenken werden.
Berichte dir, daß ich die 25. R. von einem Ungenannten welche du mir schicktest erhalten habe, der liebe Herr möchte es ihm vergelten!
Ich brauchte den Tag, als das Geld erhielt 36 Rbl. und wunderbar, der liebe Herr schickt mir gerade 36 Rbl.
Abr. Harder

 

 

Bericht von Herrn Janz über die Waisenanstalt in Grossweide in der „Friedensstimme“ Nr. 51 vom 19. Dezember 1909, S. 3-4

 

Die Waisenanstalt in Großweide
Schon längere Zeit habe ich den Wunsch gehabt, daß unseren Blättern einmal etwas Ausführliches über das Waisenhaus in Großweide berichtet werden möchte. Zwar gibt es ältere und berufenere Männer dazu; da bis jetzt aber wenig genug über die Sache an die Öfenntlichkeit gekommen ist, an mich aber schon wiederholt die Aufforderungergangen ist, etwas darüber zu schreiben, neulich auch in der „Od. Ztg.“ der Wunsch ausgesprochen wurde, etwas Näheres darüber zu erfahren, und da ich auch aus zweijähriger, nächster Anschauung mit dem Waisenhause und der Arbeit in demselben bekannt bin, so will ich versuchen, zum allgemeinen Besten etwas darüber zu berichten.
Wenn du, lieber Leser, das Waisenhaus einmal besuchen wirst, dann findest du sogleich im Korridor, über dem Eingange in die inneren Räume des Waisenhauses, auf weißem Grunde mit großen schwarzen Lettern geschrieben finden: „Meine Hilfe kommt von Jehova, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Das ist der Grund auf dem Herr Harder das Waisenhaus vor etwa 3 ½ Jahren gründete. Es ist auch das Motto, nach dem sich die Waiseneltern bei ihrem Tun und Lassen richten.
Klein und unansehnlich zwar war der Anfang. Nur zwei Knaben waren es, die Herr Harder bis zur Einweihung der Waisenanstalt als solche im Herbste des Jahres 1906 aufnehmen durfte. Aber außerordentlich schnell hat sich die Anstalt entwickelt. Dabei hats freilich für die Hauseltern viel Entbehrungen und Entsagungen, viel Arbeit und besonders Kniearbeit gekostet. Auch manche Enttäuschung haben sie tragen müssen. Aber immer wieder, ja tagtäglich haben sie auch erfahren dürften: „Unsere Hilfe kommt von Jehova!“
Einer von den zwei zuerst aufgenommenen Knaben war ein Schuljunge. Den ersten Winter ging es mit vier von Harders Kindern in die Großweider Dorfschule. Im Laufe des darauf folgenden Sommers kamen dann noch drei schulpflichtige Kinder dazu. Herr Harder dachte alle zusammen wieder in die Großweider Dorfschule zu schicken. Dieses wurde ihm aber von der Dorfsgemeinde für die „fremden“ Kinder kurz vor Schulanfang abgesagt, und nur seinen „eigenen“ Kindern wurde der Schulbesuch erlaubt. So war Herr Harder denn genötigt seine eigene Schule einzurichten. Das war nun mit unvorhergesehenen Kosten verbunden. Und wo nun in Geschwindigkeit einen Lehrer bekommen? Aber Jehovas Hilfe blieb nicht aus. Er ließ Herrn Harder  in Herrn Joh. Janz, Großweide einen jungen pädagogisch vorgebildeten Lehrer für seine Pfleglinge finden. Auch das Uebrige: Schultische, Schulbücher usw. konnte gleich alles angeschafft werden. Für alles sorgte Jehova. Natürlich hielt Herr Harder nun auch „seine“ Kinder in seiner Schule.
So fing denn am 2. September 1907 die Waisenschule mit 7 Schülern, 3 Mädchen und 4 Knaben, an. (Einer von Harders Söhnen konnte in die Zentralschule eintreten.) Oft haben die Hauseltern dem Herrn gedankt, daß sie so bald zu ihrer eigenen Schule gekommen sind. Während des ersten Schuljahres fanden sich nach und nach weitere 9 Kinder ein, von denen 7 Schüler waren. Der Lehrer hatte seine Arbeit mit Begeisterung aufgenommen; auch die Schüler hatten ihn bald alle von Herzen lieb gewonnen, und de Herr gab Gedeihen zu ihrer Arbeit, so daß das erste Schuljahr im Waisenhause mit 14 Schülern, 5 Mädchen und 9 Knaben, im Beisein der Waiseneltern, der Eifern des Lehrers und noch einiger wenigen Freunde aus dem Dorfe, reich gesegnet beendet wurde. Eine Schülerin beendete mit diesem Schuljahr auch ihre Schulzeit.
In der Zeit bis zum nächsten Herbst kam nur ein Waisenknabe hinzu. So blieb für das zweite Schuljahr die Schülerzahl dieselbe. Im letztvergangenen Sommer aber wurden noch wieder 3 Waisenschüler angemeldet und aufgenommen. Einer von den kleinen „ältern“ Pfleglingen wurde jetzt auch „Anfänger“. Das sind denn nun für diesen Winter 19 Schüler, 6 Mädchen und 13 Knaben.
Waisenkinder sind bis jetzt also 19 aufgenommen worden. Dazu kommen noch vier von Harders Kindern. So sind es denn 23 Kinder, die erzogen, täglich gesättigt, mit allem versorgt und verpflegt sein wollen. 23 Kinder! Nehmen wir dann noch die Hauseltern, deren zwei „große“ Töchter, den Lehrer, ein 14-jähriges taubstummes Waisenmädchen, das in Ermangelung einer passenderen Stelle im Waisenhause Unterkunft gefunden hat, eine Schwester und drei Dienstboten, dann haben wir 33 Personen, die täglich im Waisenhause zu Tische sitzen.
Lieber Leser, der du vielleicht nur eine kleine Familie hast, weißt du was es kostet, wenn 33 Mann aus einer Küche gesättigt werden sollen? Von Kleidern, Wäsche, Strümpfen, Schuhen usw. schon gar nicht zu sprechen? Weißt du, was es heißt, wenn für 33 Mann soll Speise zubereitet werden? Wenn für 23 Kinder Wäsche genäht, Strümpfe gestrickt und auch dafür gesorgt werden soll, daß die Kinder und besonders die Jungen nicht in löchrigen Kleidern einhergehen? Und dann nimm noch hinzu, daß noch jedes Jahr etwas umgebaut und zweckentsprechender eingerichtet werden mußte. (Ich betone dieses „mußte“, denn sonst wäre es nicht getan worden.)
Ja, lieber Leser, der du vielleicht eins und das andere hast erzählen hören und nun vielleicht nicht vorurteilsfrei bist, fahr doch einmal selbst hin; sieh dir die Anstalt und die Leute darin selbst an, und laß dir von lezteren, selbst etwas erzählen. Du wirst von deinen Vorurteilen geheilt werden, und wirst den Hauseltern eine große Freude bereiten. Denn, wenn sie auch nicht gelobt sein wollen, so wird es doch wohltuend auf sie wirken, und sie in ihrer ohnehin schweren Arbeit aufmuntern, wenn sie sehen, daß die Leute sich für ihre Waisensache interessieren und nicht alle gleichgültig vorbei gehen.
Ja, die Gleichgültigkeit! Der Verfasser der „kleinen Rundschau“ in der „Od.Ztg.“ schreibt über das Waisenhaus: „Als Privatwerk trägt die Gründung der Waisenanstalt mehr den Charakter einer Liebes- und Glaubenstat eines edlen Menschenfreundes. Wie viel schöner aber wäre es, wenn alle Molotschnadörfer sich an diesem Liebeswerk beteiligten!“  Und ich sage: „Noch viel schöner wäre es, wenn alle Mennonitengemeinden sich als solche daran beteiligten.“ Zwar kommt die Hilfe der Waisen von Jehova, und wenn Er auch die Mittel von Ufa und Samara und sogar von Sibirien schicken muß. Jehova hat bisher die Waisen in der Anstalt und ihre Eltern noch keinen Mangel leiden lassen. Aber wäre es nicht schön, wenn sich alle Mennonitengemeinden als solche vom Herrn für die Waisensache brauchen ließen, anstatt gleichgültig daran vorbei zu gehen, oder sogar noch wahre Gerüchte über Herrn Harder und sein Waisenhaus zu verbreiten?
Nun, fragst du vielleicht, ist denn die Gleichgültigkeit der Mennoniten ihren Waisen gegenüber wirklich so groß? Lieber Leser, ich will dir etwas im Vertrauen mitteilen. Es sind in der Anstalt Waisenkinder, deren Vormünder, nachdem sie die Kinder vor 2 ½  Jahren hingebracht hatten, sie nicht besucht, ihnen nichts geschrieben und sich überhaupt nicht nach ihnen erkundigt haben.
An den Schulfesten, z.B. den Prüfungen, beteiligen sich nur ganz wenige, trotzdem im vorigen Jahr öffentlich durch die „Frdst.“ dazu eingeladen wurde. Selbst der Schulrat hat bis jetzt für sein jüngstgeborenes Töchterlein, das noch meiner Meinung ganz besonders seiner Hilfe und Pflege bedürfen würde, wenig Interesse gezeigt.
Ja, höre ich da einen sagen, wenn die Anstalt eine Gemeindesache wäre, wenn Harder nicht ein „Rückenauer“ wäre, und er nicht die „Rückenauer“ Waisen bei der Aufnahme vorzöge, so wollte ich mich schon für die Anstalt etwas bekümmern und auch etwas dazu gebe. Darauf muß ich dir aber antworten: das Waisenhaus ist eine Gemeindesache; denn zunächst ist sie von Herrn Harder für alle mennonitischen Waisenkinder bestimmt. Ferner ist Herr Harder kein „Rückenauer“, sondern ein Christ, der im Auftrage seines Herrn seinen Nächsten einen Liebesdienst erweisen will, und als solcher zieht er keinen vor und setzt auch niemand zurück. Daß dein letzter Vorwand nicht Grund hat, wird schon dadurch bewiesen, daß die Eltern von 18 aufgenommenen Kindern „kirchliche“ gewesen sind.
Aber, höre ich einen andern fragen, wenn es ein Liebesdienst an den Nächsten sein soll, warum wendet Harder denn die Mittel, die er bekommt, nicht speziell für die Waisenkinder an? Warum verbaut er denn alle Jahre so viel, als wollte er nur für sich auf fremde Rechnung ein gemütliches Heim einrichten? Warum gibt er die „übrigen“ Mittel nicht auf Zinsen, um auf solche Art für die Zukunft der Kinder zu sorgen?
Ach, du sancta simplicitas! Grade um der Kinder willen mußte das innere Gebäude zum Teil umgebaut werden, um den früheren Laden wenigstens einigermaßen praktisch zu einem Waisenhause einzurichten. Zudem soll das Haus auch amtlich als öffentliche mennonitische Waisenanstalt bestätigt werden. Da gibt’s nun für solche Anstalten gesetzliche Vorschriften über Höhe, Licht und Türen der Zimmer, über Treppen, Böden usw., mit denen die frühere Einrichtung nicht stimmte. Ferner mußte in einem Nebengebäude, einer früheren Wagenremise, das Schulzimmer nebst Lehrerquartier eingerichtet werden. Dieses ist nun alles gemacht worden, doch nicht auf einmal, sondern nach Bedürfnis, jedes jahr etwas.
Wenn erzählt wird, daß Herr Harder schon von ihm Eingerichtetes wieder umgerissen habe, so beruht das auf Unwahrheit. Alles was Herr Harder in dem Hause hat machen lassen, das ist auch so geblieben. Was das Aufzinsengeben der „übrigen“ Gelder anbetrifft, so bitte ich dich, lieber Leser, etwas darüber nachzudenken, was es kostet, eine Familie von etwa 80 Personen mit allem zu versorgen. Jehova hat immer grade so viel gegeben und geholfen, als es gekostet hat; oder, wenn du willst, kannst du`s umdrehen: es hat immer grade so viel gekostet, als Jehova geschickt hat. Einen Menschen hat Herr Harder aber noch nicht um Hilfe anrufen und bitten brauchen.
Ferner ist ja der einstweilige Zweck der Anstalt nicht der, die Waisen für die Zukunft in materieller Hinsicht zu versorgen, sondern ihnen eine mangellose, frohe Kindheit und eine Erziehung fürs Leben zu geben. Um letzteres zu verwirklichen, wird den Knaben vom Leherer unter anderem auch in allerlei Handfertigkeiten Anleitung gegeben, (und eine richtige Werkstätte zu bauen, wird bald Bedürfnis der Anstalt sein.) Für die Mädchen hat sich leider bis jetzt noch keine Lehrerin in Handarbeiten gefunden.)
Wenn du aber auch in materieller Hinsicht etwas für die Zukunft der Waisen getan haben möchtest, so kannst du leicht dabei helfen: schicke einfach an Herrn Harder Geld  so viel du willst und bestimme, daß dasselbe für die und die Waisen sei und für sie auf Zinsengegeben werde, bis die Kinder erwachsen sind, und Herr Harder wird es tun. Denn er verbraucht überhaupt die bestimmten Gelder genau ihrer Bestimmung gemäß.
Nun, höre ich noch wieder jemand fragen, wenn Herr Harder sterben sollte, was wird dann aus der ganzen Sache? Wem gehört die Anstalt dann? In deinem Interesse, lieber Leser, habe ich diese Frage an Herrn Harder selbst gestellt und erhielt von ihm darauf ungefähr folgende Antwort: „Wenn ich auch sterbe, dann wird die Sache doch weiter gehen. Jehova wird ihr helven; denn Ihm in erster Linie gehört das Werk. Ferner bleibt die ganze Anstalt den Waisen, und Jehova wird für einen neuen Waisenvater nach mir sorgen. Meine Kinder bleiben in der Anstalt, so lange als möglich und nötig und dann wird auch Jehova für sie sorgen.“
Du siehst also, lieber Leser, daß Herr Harder für sich nichts haben will, sondern daß er das Seine sogar alles hingibt für die Waisen im Vertrauen auf den Herrn. Wenn aber seine eigenen Kinder nach dem Tode ihres Vaters dennoch irgend einen Anspruch machen sollten, etwa auf das, was ihre Eltern einmal bei der Gründung der Anstalt hineingebracht haben, willst du dann dir`s leid sein lassen, daß du auch für die Kinder des etwas gegeben hast, der nicht nur all sein Hab und Gut, sondern auch Kraft und Leben, und nicht nur seine Kräfte, sondern auch diejenigen seiner Frau und zum Teil auch seiner Kinder geopfert hat, um dem Herrn und seinen Nächsten zu dienen?
Noch eine Frage habe ich oft tun hören, nämlich: Wie lange die Kinder in der Anstalt bleiben sollen und was Herr Harder später mit all seinen Zöglingen will? Nun, darüber hat Herr Harder, so viel ich weiß, noch nicht was Genaues bestimmt. Er vertraut aber auch in dieser Beziehung Jehova, der alles zur Zeit herrlich hinausführen wird. Sein einstweiliges Vorhaben ist, die Kinder so lange zu halten, bis sie sich selbst ihr Leben werden unterhalten können. Denen, die Lust und Fähigkeit haben „weiter zu lernen“, soll die Möglichkeit zur Ausbildung gegeben werden. Wer Lust und Gaben zu irgend einem Handwerk hat, soll in der Anstalt Gelegenheit finden, solches zu erlernen, da bei der Anstalt verschiedene Werkstätten erbaut werden sollte. Ein Heim aber soll allen Zöglingen die Anstalt bleiben, solange sie dieselbe als solches ansehen werden.
Für diesmal sei es genug. Die Anstalt braucht nicht verteidigt zu werden, sie verteidigt sich selbst. Prüfe alles, und das Gute behalte!
Janz.

„Botschafter“ und „Odessar Zeitung“ werden um Abdruck gebeten.

 

 

Bericht der Redaktion über das Waisenhaus in Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 62 vom 11. August 1910, S. 9

 

Das Waisenhaus in Großweide ist seit der Zeit seines Bestehens offenbar von Gott als Sein Werk legitimiert worden. Es ist durch viele Proben und Schwierigkeiten hindurch gegangen. Die Geschw. Harder wissen von vielen herrlichen Durchhilfen Gottes zu erzählen. Im vergangenen Winter schien es, als würde Br. Harder wegen der mit dem Waisenhaus verbundenen Schule, die zwar mit Vorwissen der Schulbehörde, aber ohne direkte Bestätigung gehalten wurde, zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden. Im Frühjahr, eine Tag nach Schulschluß, kam die Ordre, daß die Schule geschlossen werden solle. Nun hatte Br. Harder in die Statuten, die bereits im Ministerium des Innern vorlagen, auch das Recht, mit der Anstalt eine Schule zu verbinden und zu unterhalten, eingeschlossen. Wie sollte es werden, wenn die Statuten bis zum Herbst nicht bestätigt werden würden?Gott sei Dank, sie sind ohne wesentliche Aenderungen bestätigt worden und damit hat auch die Schule ihre Bestätigung. Der Gründer des Waisenhauses hat auch das Recht, den Lehrer der Schulbehörde zur Bestätigung vorzustellen, so daß man der Anstalt nicht irgend eine Lehrer, den sie nicht wünscht, aufnötigen kann.
Jedoch ist ein Paragraph in den Statuten gestrichen worden, über den es lohnt, einige Worte zu sagen, d.h. ich habe keinen Auftrag dazu von Geschw. Harder, sie wissen auch gar nicht, daß ich darüber schreibe. Sie haben, als sie mit der Arbeit anfingen, ihr ganzes Vermögen (5000 Rbl.) in die Anstalt gesteckt. Angesichts ihrer zahlreichen Familie lautete ein Punkt der Statuten, daß diese 5000 Rbl. nach ihrem Tode ihren Kindern ausgezahlt werden sollten. Nach den bestätigten Statuten werden die 5000 Rbl. aber nur in dem Fall ausgezahlt, wenn die Anstalt aufgehoben wird, die Anstalt wird aber doch voraussichtlich weiter existieren, auch wenn Harders sterben. Wäre es da nicht angebracht, durch freie Schenkungen, resp. durch testamentarische Vermachung diese 5000 Rbl. zusammen zu bringen, die dann den Kindern Harders später statt des elterlichen Erbteils ausgezahlt würden? Bis zu der Zeit könnten sie ja zinstragend angelegt und die Zinsen für die Anstalt verwendet werden.

In der Anstalt sind gegenwärtig 25 Kinder; die Zahl wächst beständig. Das für die Anstalt verhältnismäßig billig erworbene Haus hat auch noch Raum für mehr. Es herrscht unter den Kindern ein guter Geist. Die von dem Dorf etwas abseits gelegenen 1 1/3 Deßj. Große gut umzäunte Hofstelle mit Garten bietet den Kindern reichlich Raum und Gelegenheit zum Spielen und Turnen. Im Garten wurden in diesem Frühjahr über 300 Obstbäume gepflanzt, welche wohl alle schön angewachsen sind. Mit der Schule ist eine kleine Werstatt verbunden, in der Kinder an der Hobelbank und in verschiedenen Handarbeiten unterwiesen und angeleitet werden. Der Lehrer der Anstalt interessiert sich ganz besonders auch für diese Seite  der Waisenerziehung.

 

 

Eine Meldung der Redaktion über Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 93 vom 27. November 1910, S. 7

 

Der Waisenhausvater Abr. Harder in Großweide ist, wie wir soeben erfahren haben, an Blinddarmentzündung schwer erkrankt, vielleicht auch schon tot. Auf jeden Fall tut es not, der Familie und des Werkes fürbittend zu gedenken.

 

Eine Meldung von Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 20 vom 8. März 1914, S. 7

 

Sturm. Großweide
Nachts vom 27. auf den 28. Febr. war hier großer Sturm, welcher auf vielen Stellen großen Schaden angerichtet hat. Bei Witwe Derksen hier ist ein Ende der Scheune umgefallen, auf vielen Stellen sind mehr oder weniger Dachpfannen heruntergetrieben und zerschlagen. Bei einigen Wirtschaften bis 500 Stück.
Bei uns im Waisenhause war der Morgen auch ein bewegter. Das Blechdach von der Küche war beinahe halb abgedeckt, eine Blechplatte trieb der Sturm gerade als wir uns an den Frühstückstisch setzen wollten, in der Eßstube ins Fenster, daß die Scheiben klirrten und der Schnee in einem Nu alles durchnäßt. Auch das Sommerhaus, welches wir im vorigen Jahre aufbauten, ist auf einem Ende über einen Faden von dem Fundament herab beiseite gesetzt. Wir durften hierin Gottes Allmacht sehen, möchte es nur uns allen, die es miterlebt haben, zum Segen sein!
Abr. Harder.

 

 

Eine Meldung von Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 34 vom 30. April 1914, S. 5

 

Großweide, Gouv. Taurien.
Montag, den 12 Mai, soll, so Gott will, im Waisenhause zu Großwaide, um 1 Uhr nach Mittag der Ausruff der Sachen stattfindet, welche die Kinder im Laufe des Winters gefertigt haben. Zur Einleitung des Ausrufes und zur Erfrischung der Gäste werden die Waisenkinder mit Gesang und Vorträgen dienen.
Abr. Harder

 

 

Bericht über die Spenden von Abram Harder aus Großweide in der „Friedensstimme“ Nr. 46 vom 14. Juni 1914, S. 9

 

Für das Waisenhaus erhalten:
Durch  A. Epp, Rosenort von Jakob Sudermann, Blumenort ...Rbl. (unleserlich – E.K.), wovon 20 Rbl. von Daniel Sudermann, Bukuluk.
Ungenannt, Tiege 10 Rbl.
Durch Aelt. D. Nickel, Großweide von Ungenannt 16 Rbl.
Durch Lehrer (? – E.K.) Töws, Alexandertal von Ungenannt daselbst 5 Rbl.
Durch „Raduga“ folgende Gaben erhalten: P.J., Fürstenau 5; W.H. 2; Jak., Jelanskaja 7.50; Kollekte in Licntenau 22.50; H.Janzen, Waldek 3; Ungenannt aus Muntau 5; Frau Wiens, Dmitrijewka 15; Joh. Pankratz, Karaßan 50; Ungenannt durch H.Unruh, Muntau 5; Altenauer Dorfgemeinde 25; aus der Nachlassenschaft der Witwe Wiens 50; H. Löwen, Alexanderkron 5; Ungenannt 1.80; ...(unleser. – E.K.) Schule 12.19; Tiegenhägener Schule 5; Halbstädter Frauenkränzchen 200; einer, der eine Wette gewonnen 25 R.
Durch Peter Unruh, Rudnerweide von G. Balzer-Ropow 15 R.
Von Frau B. in L. vom Sonntagsverein 10 R.
Durch Lehrer P. Regehr, Kotljarewka von s. (seinen – E.K.) Schülern 3 R.
Durch Joh. Dürksen, Emiljanowka von den Erben des verstorbenen H. Dürksen, Schönsee, gestorben auf dem Terek 10; von 3 Kindern aus der Sparkasse 6 und von Ungenannt 4 R.
Durch Lehrer Walde, Friedensdorf von dem Schülerinnenkränzchen daselbst 15 R.
Durch Jak. Dück, Steinbach von dem Alt-Berjaner Bläserchor 30 Rbl.
Durch Thießen, Gnadenheim von Lehrer D. Görzen aus seiner Schule 11 Rbl.
Witwe W., Steinbach 19; Ungenannt, Alt-Berdjanar Forstei 3; ungenannt, Alt-Berdjaner Forstei 5 R.
Durch Töws, Orlow von der Dorfgemeinde daselbst 25 R.
Durch Willms, Fürstenwerder v.d. Sonntasch. Das. 20 R.
Dem werten Herrn M.P.L., von dem ich einen eingeschriebenen Brief erhielt, wo 10 R. drin sein sollen, kann ich den Empfang des Geldes nicht bestätigen, weil sich das Geld im Briefe nicht befand, wahrscheinlich herausgenommen. Der Brief war, wo er zugeschickt wird, ohne ihn zu beschädigen, leicht zu öffnen.
Von dem Alexanderkrone Waisenanstaltsfreunde 34 Knabenkl..ssen (? – E.K.), 11 Mädchenhemden, 3 Dutzend Taschentücher, ein Schinken, ein paar Schuhe und von Frau Enns 3 Stück Zeug.
Von Joh. Siemens, Hierschau Zeug zum Kleid, ein Stück ....? (E.K.) und ein Stück Serpinka (Kleiderstoff – E.K.)
Mit dankbarem Herzen rufe ich allen Spendern ein „Vergelts Gott“ zu, denn wir haben es aufs neue erfahren, daß der treue Gott Gebete erhört. Weil wir beabsichtigen, eine Landwirtschaft zu kaufen, um die Knaben, welche die Schule beendigt haben, noch zwei Jahre zu beschäftigenm, ehe sie ein Handwerk erlernen, wurde im Mai im unserem Heim viel um das Handgeld dazu gebetet. Der liebe Herr hat auch so weit geholfen, daß der Handel bereits abgeschlossen werden konnte. Möchte noch alle Freunde der Waisenanstalt bitten, unser ...? der ganzen Waisenarbeit vor dem Throne Gottes zu gedenken.
Großweide, den 3 Juni.
Abr. Harder.

 

 

Auszug aus dem Buch „Geschichte der Alt-Evangelischen mennoniten Brüderschaft in Russland“, von Friesen P. M., S. 663

 

Buch "Die Alt-Evangelische Mennonitische Bruderschaft in Rußland (1798- 1910) im Rahmen der mennonitischen Gesamtgeschichte. Peter M. Friesen. Halbstadt, Odessa. 1911." Teil 1a, Seiten 1-393. (gotisch)

Buch "Die Alt-Evangelische Mennonitische Bruderschaft in Rußland (1798- 1910) im Rahmen der mennonitischen Gesamtgeschichte. Peter M. Friesen. Halbstadt, Odessa. 1911." Teil 1b, Seiten 394-776. (gotisch)

Buch "Die Alt-Evangelische Mennonitische Bruderschaft in Rußland (1798- 1910) im Rahmen der mennonitischen Gesamtgeschichte. Peter M. Friesen. Halbstadt, Odessa. 1911." Teil 2, Mennoniten in Nord-Amerika. Seiten 1-160. (gotisch)

 

Wie „Walls Haus für Kranke“, so ist auch dieses Waisenhaus eine Gründung aus Glaubens- und Liebesdrang eines Ehepaares, der Geschwister Abraham Harder. Ihre ganze habe und Lebensarbeit legnten sie ins Fundament des Werkes und gründeten vor 4 Jahren eine völlig familienartige Waisenanstalt. Heute, Dez. 1910, ist sie eine nach jeder Seite: gesetzlich (durch bestätigtes Statut), erzieherisch und ökonomisch wohlbegründete Anstalt mit eigener Schule bei 27 Kindern.Auch handwerke werden gelehrt. Voll freudigen Dankes gegen Gott und Menschen können die Anstaltseltern den Zufluß der notwendigen Spenden aus immer weiteren Kreisen quittieren. Selbst Bezirksversammlungen entfernter Wolosten haben angefangen, der Sache finanzielle Mithilfe zuzuwenden. Das Motto der Geschwister Harder, das als Wandspruch über dem Eingange ihres Heims dem Eintretenden in die Augen fällt, lautet: „ Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Es bewährt sich als Glaubensmotiv in ihrer Arbeit!

 
Zuletzt geändert am 12 Juli, 2017