Bericht von Abram Harder aus Grossweide in der „Mennonitische Rundschau“ vom 27. September 1922, S. 11-12

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 27. September 1922, S. 11-12. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Eingesandt durch Br. M.B.Fast, Reedloh, Calif.
Großweide, den 10 Juli 1922.
Lieber Bruder M.B.Fast!
Mit sehr großer Freude und dankbarem Herzen durften wir am 3 Juli fünf amerikanische Pakete in Empfang nehmen, von denen zwei von Dir kommen. Was solche Pakete für Freude in die Häuser bringen, können sich die Amerikaner kaum denken, und auch bei uns war solches der Fall. Wir danken innig für die Liebe und Hilfe, die uns dadurch geworden ist. Da Du, lieber Bruder, Redakteur der Rundschau gewesen bist, wll ich ganz kurz berichten, wie Gott uns mit unserer Anstalt in letzter Zeit geführt und hindurch geholfen hat. Als wir im vorigen Jahre, 1921, die Ernte auf Kuruschan, welches unsere, des Großweider Waisenhauses, wirtschaftliche Abteilung ist, eingeerntet hatten, und uns nur 100 Pud Weizen zu Brot blieb, blickten wir fragend in die Zukunft. 100 war für die 100 Seelen, die in der Anstalt waren, nur auf kurze Zeit, doch wir wußten, unsere Hilfe sollte von Jehova, der Himmel und Erde gemacht hat, kommen, Ps. 121. Als der Vorrat beinahe aus war, hatte sich auf dem Boden eine Ecke so mit Weizen gefüllt, daß wir eine Fuhre zur Mühle fahren konnten. Und als das wieder aus war, hatte Gott durch Freunde der Anstalt die Ecke wieder so füllen lassen, daß wieder konnte gemahlen werden. So ging es auffallend mehrere Monate lang. Dann blieb die Ecke auf dem Boden leer. Auf unsere Gebete um Hilfe, prüfte der liebe Gott uns, und es scheint so, daß wir gerade zu Weihnachten ganz ohne Brot sein würden. Doch kurz vor Weihnachten bekamen wir von unserer Regierung aus Tokmak Nachricht, daß wir für unser Waisenhaus Produkte sollten holen kommen. Nach 1. Kön. 17, 4 gab Gott uns Freudigkeit, solches zu tun, und so hatten wir zu Weihnachten Brot, so dunkel es auch geschienen hatte. Wieder wurde unsere Anstalt mit mehr oder weniger Unterbrechungen ernährt, bis von der Regierung die Absage kam, daß sie nicht mehr im Stande sei, weiter zu helfen. In dieser Zeit wurde in unserer Anstalt viel um die amerikanische Hilfe gebetet. Es hieß immer, sie komme, aber sie wollte immer noch nicht bis hier her kommen. Zudem hatte der mennonitische Verband versprochen, dem Waisenhaus zu allererst abzuteilen, wenn die Hilfe kommen würde. Es wurde immer schwerer. Die Kinder fingen an zu schwellen und krank zu werden. Der Herr prüfte, aber verließ uns nicht. Als wir längere Zeit kein Brot hatten, gab der Herr mehreren Dörfern ein, unserer Anstalt dreimal wöchentlich Milch zu schicken, und als auch das weniger wurde, nahmen wir die letzte Hirse, welche wir eigentlich zur Saat halten wollten, rieben sie auf dem Salzstein entzwei, und dann wurde von dem Mehl morgens, mittags und abends eine Suppe gekocht und ohne Brot gegessen. Als aber die Not am größten war, bekamen wir vom Postamte Nachricht, daß 8 Packete fürs Waisenhaus zu heben seien. Sie wurden uns von den russischen Geschwistern aus Kijew geschickt durch Br. Adolf Reimers Anregung daselbst, der dort in der Stadt arbeitete.Der Jubel war groß, als es hieß, jetzt gibt`s Brot, aber noch größer war er, als die Packete auf den Hof gefahren wurden. Als von diesem Brot gegessen wurde, hieß es, die amerikanische Hilfe ist in Lichtenau angekommen, welches uns aufs neue Hoffnung gab. Doch ehe die Hilfe das Waisenhaus erreichen konnte, hatte der Herr noch eine Prüfung für uns. Unverhofft erschien eine russische Frau, stellte sich als Leiterin der Anstalt vor und überreichte mir ein Papier, daß ich als Hausvater abgesetzt sei. Schon in den nächsten Tagen wurde die erste amerikanische Hilfe verteilt, doch unser Waisenhaus erhielt nicht, weil unsere Anstalt in einer Uebergangsperiode stand. Es war eine große Täuschung für uns, aber Gott, unser Vater half wunderbar. Die Leiterin fühlte sich in unserer Anstalt nicht wohl und meinte, es sei nicht recht, daß sie in solch eine Anstalt geschickt worden sei, die für Rußland eine Musteranstalt sei. Gott bewegte ihr Herz durch unsere Liebe, die wir suchten ihr entgegen zu bringen, dahin, daß sie nach Tokmak fuhr mit der Bitte, man möchte sie entlassen und den alten Leiter wieder einsetzen, was denn auch geschah. Bald darauf besuchte der amerikanische Abgeordnete, Br. Slagel, unsere Anstalt, um zu sehen, wie die Sache in unserer Anstalt bestellt sei, und versprach, sein Möglichstes zu tun, damit wir unsere Hilfe bekämen. Wieder verstrichen etliche Wochen, ohne daß uns Hilfe wurde. Wir erfuhren auch nichts, was Br. Slagel ausgerichtet habe. Als die Unterernährung immer mehr bemerkbar wurde, sagte ich eines Tages bei der Morgenandacht zu den Schwestern und zu den Kindern, wir wollen beten, daß der Herr es den amerikanischen Abgeordneten ins Herz geben möchte, die Produkte auf einem Auto zu bringen. Am anderen Morgen erinnerte ich wieder daran, und wir sagten es gemeinschaftlich dem Herrn, Er möchte es doch so machen, weil wir keine Pferde hatten, wenn wir mit einmal die Nachricht erhalten sollen, die Produkte zu holen. Der Herr erhörte unser Flehen, denn wir erhielten am zweiten Tage, als wir es dem Herrn gesagt, die Produkte. Wie groß der Jubel in allen Ecken der Anstalt war, ist nicht zu beschreiben, als der Wagen mit den Sachen auf dem Hof gefahren kam. Was das heißt, gehungert zu haben, oder sich nur halb satt zu essen, muß erfahren sein. Nicht lange nach dem Eintreffen der Produkte hörten wir, daß die Amerikaner am ersten Tage, als wir beteten, der Herr möchte ihre Herzen lenken, daß sie dieselben auf dem Auto bringen möchten, sie die Gaben auch aufgeladen und bis Rückenau gebracht, und da sie nicht Zeit gehabt, gewünscht hatten, die Rückenauer möchten sie so schnell wie möglich, weiter befördern. So hatte der Herr unser Gebet buchstäblich erhört, Ihm die Ehre dafür. Später erhielten wir noch von der holländischen Hilfe ein Geschenk, so daß sich unsere Kinder wieder mehr herausgemacht haben, und mehr Lebenslust bekunden. Im Winter waren wir über 100 Seelen in der Anstalt, aber auf Drängen der Regierung haben wir Kinder und Schwestern abgeben müssen, so daß gegenwärtig 81 Seelen in unserer Anstalt sind. Von all dem Schweren, das wir in unserer Anstalt erlebt haben, will ich schweigen. Möchte Gott durch das Wenige, das ich berichtet habe, verherrlicht werden, denn Er ist es wert, Ihm gebührt die Ehre in alle Ewigkeit.
Einen herzlichen Gruß der Liebe von deinem Mitpilger nach Zion

Abr. Harder, Hausvater

 

Anm. Freue mich, daß ich von Geschwistern hier in und um Reedleh eine Anzahl Pakete Lebensmittel an die Anstalt schicken konnte. Freue mich auch, daß das Auto der Amerikaner in Rußland dazu diente, die Gebete der Kinder schnell zu erfüllen.

M.B.F.
 
Zuletzt geändert am 1 Juli, 2017