Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 26 Juni 1907, S. 4-5. (gotisch) von Elena Klassen.
Großweide.
16 Mai 1907.
Lieber Editor der Rundschau! Schon vor etlicher Zeit bekommen wirregelmäßig die „Rundschau“ zugeschickt, wer aber der liebe Freund ist, der sie uns schickt, ist uns unbekannt, möchte ihm daher hiermit meinen innigsten Dank sagen. Wie ich glaube, werden die lieben Rundschauleser mit der Gründung unseres Waisenhauses bekannt sein, will aber, wenn es dem lieben Editor nicht zu viel ist, es aufzunehmen, etwas von unserer Arbeit und Erfahrungen mitteilen.
Schon in meiner Jugendzeit fühlte ich die Aufgabe noch einmal, etwas für die Waisenkinder zu thun, aber der liebe Gott hat uns erst verschiedene Wege geführt, ehe wir damit anfangen konnten. Vor sieben Jahren war unser Onkel Joh. Harder von Amerika bei uns auf besuch und erzählte während wir uns unsere Erfahrungen einer dem andern mitteilten, daß sie in Amerika ein mennonitisches Waisenhaus hätten und sagte, wenn wir etwas für Waisenkinder thun wollten, so sollten wir nach Amerika kommen, aber dann müßten wir erst englisch lernen. Aber der liebe Gott hat es so geführt, daß wir die Arbeit nicht in Amerika, sondern in Großweide thun können.
Im Vertrauen auf Gott und seine Verheißungen haben wir mit der Arbeit im kleinen angefangen, haben bis jetzt fünf Waisenkinder aufnehmen dürfen, wovon einer ein Krüppel ist. Aller Angang ist schwer, was auch wir reichlich erfahren müssen, aber doch bekennt der liebe Gott sich zu unserer Arbeit und wir haben schon manche herrliche Gebetserhörungen und Erfahrungen machen dürfen. Es ist schon bald ein Jahr, daß wir hier in unserem Heim sind und der liebe Gott hat uns noch immer alles zur rechten Zeit gegeben, was wir bedurften, freilicht nicht im Ueberfluß, aber immer doch, daß wir fertig wurden. Eines Tages sagte meine liebe Frau zu mir: Weißt du was, das Mehl im Kasten ist alle und zu Mittag müssen wir noch Mehl haben. Das Geld im Geldbeutel reichte gerade zu für zwei Kull (кулёк? – E.K.) Mehl und für weitere Aufgaben war nichts mehr da, welche wir recht viele haben. Sagte es gleich meinem lieben Herrn und um eine Stunde bekamen wir einen Brief, daß wir uns von der Post Geld holen könnten. Eines Morgens war ich genötigt, vom Nachbar 25 Rubel zu borgen, habe es aber meinem lieben Gott gesagt, daß ich nicht borgen möchte und er möchte mir das Geld doch schicken. Der liebe Gott führte es so, daß zu Vesper ein lieber Bruder uns ins Haus geführt wurde und ohne daß er von der Sache wußte, gab er uns 25 Rubel.
Solche und ähnliche Erfahrungen haben wir schon wohl oft und viele gemacht. Alle Kinder Gottes möchten auch unserer Arbeit gedenken und wenn es dem Editor und Lesern lieb ist, dann werde ich von Zeit zu Zeit von unserer Arbeit in der „Rundschau“ berichten.
Herzlich grüßend,
Abr. Harder.
Anm. – Freut uns, lieber Bruder, Deine Berichte werden mit Interesse gelesen werden. Gott segne Euch und stärke stets Euren Glauben. Gruß – Editor. |