|   Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 7. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von  Elena Klassen.   Durch Mittelasien.Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den  Mennoniten.
 Von Kornelius Plett, Calgary, Alta..
 Es wird gewiß der großen mennonitischen Leserfamilie der  Rundschau von Interesse sein, zu erfahren, wo die Mennoniten, die nach  Mittelasien auswanderten, geblieben sind, wie sie sich wirtschaftlich auch  geistlich entwickelt haben und wie es ihnen jetzt ergeht. Da Gott in seiner  unsehbaren Vorsehung mir das Glück schenkte, fünf Jahre mitten unter der  größesten Gruppe dieser Glaubensbrüder zu wohnen, so will ich versuchen, meine  Eindrücke, die ich in dieser Zeit überkam, wiederzugeben.
 Um  von dem Mennoniten in Mittelasien zu sprechen, muß man sich 3 Ansiedlungen, die  weit voneinander getrennt sind, denken. Die größeste derselben befindet sich  etwa fünfzig Meilen von der Eisenbahnstation Aulie-Ata (zu deutsch heiliger  Vater). Der Weg schlängelt sich das Tal hinab und durchschneidet eine der  Gebirgsketten von denen die Ansiedlung umgeben ist. Dieser Durchschnitt wird  von den Bewohnern kurz „Kopp“ genannt. Die Ansiedlung liegt in einem Tale das  von der einen Seite durch das Alataugebirge und auf der andern Seite durch die Alexanderkette  abgegrenzt ist. Die Spitzen des Alataugebirges sind mit ewigem Schnee und Eis  bedeckt. Es ist eine gegend in welcher Gott die Schönheiten der Natur in  verschwenderischer Weise verschüttet hat. So sage ich nach dem ich die  Molotschna, Krim, Orenburg, Samara, Sibirien und teilweise auch Deutschland,  England und Kanada gesehen habe. Wenn ich denke an die eisgekrönten Berge, an  das mistische Rauschen der kristallklaren Wasserbäche, an den klaren  wolkenlosen Himmel, der den größten Teil der Jahreszeit über das Tal gespannt  ist und an die angenehme Windesstille, so ist es mir wirklich schade, das ich  jene gegend verlassen mußte. Das Tal, in dem die Ansiedlung liegt, ist etwa 10  Meilen breit und hat eine schiefe Lage. Die Ansiedlung liegt nach Aussagen der  Bewohner etwa 3,500 Fuß über dem Meeresspiegel. Sie besteht aus 5 Dörfern,  wovon 4 hart aneinander liegen, das fünfte etwa 16 Meilen weiter ab, mit  ungefähr 1500 Einwohnern. Es liegen in der Umgebung einige Dörfer von  Lutheranern bewohnt, einige von Russen. Die andere Bevölkerung besteht aus  Mohammedanern.
 Die  Ansiedlung hat in den 48 Jahren ihres Bestehens einen ziemlich guten Aufschwung  erfahren, so daß sie in letzter Zeit wohl keiner der russländischen  Ansiedlungen der Mennoniten nachstand. Die Wirtschaften hatten bis jetzt so bei  20 Des. (etwa 57 Acker) Land. Das ist ein kleines Quantum, so daß sie gezwungen  waren den größten Teil ihrer Aussaat auf Land zu machen, das sie pachteten oder  auf die Hälfte besäten. Aber dank der Bewässerung haben sie keine Mißernte  gehabt, außer anno 1917 wo ihnen, bei der ungeordneten Zustände, die damals  schon in Rußland herrschten, von Soldaten das Wasser abgedämmt wurde. Der Boden  besteht aus gelbgrauen Lehm, dem sogenannten Bergstaub und ist auf Stellen  steinigt. Er hat viel Stein und Eisengehalt in sich und ist daher sehr hart.  Dieser Umstand hat dort anstatt den Spaten die große Hacke eingeführt. Ohne  dieses Gerät kann man sich keinen Turkestaner denken. Die Niederschläge sind so  wenig, daß das Land muß bewässert werden, anderenfalls will es nicht einmal  Unkraut bringen. Wo aber gedüngt und bewässert wird verwandelt sich die Wüste  in einen Garten. Neben der Landwirtschaft wird auch Viehzucht getrieben. Ja die  Viehzucht ist wohl eine der wichtigsten Wirtschaftszweigen der sich in den  letzten 2 Jahrzehnten besonders entwickelt hat. Man hatte für gutes Rassenvieh  gesorgt, so daß oft aus den andern entlegenen Städten Leute kamen Zucht-Pferde  und Kühe zu kaufen. Die Milch wurde zusammengeliefert und in Butter allermeist aber  in Käse verarbeitet, der in weitester Umgegend sehr berühmt war. Bei vielen  landlosen Familien waren es die Kühe, welche ihnen die Lebensunterhalt gaben.  Ein anderer Wirtschaftszweig war die Schweinezucht, welche den Bauern bis zur  Revolutionszeit viel Geld einbrachte.
 Es  wird auch etwas Gartenbau getrieben. Die Meisten hatten jedoch nur soviel  gepflanzt als sie zum eigenen Bedarf nötig hatten. Obst gab es verschiedene  Sorten namentlich Aepfel. In dem Garten des Onkels meiner lieben Frau Cornelius  Wall, zählte ich einmal an 24 Sorten.
 Meistenteils  ist jeder Hof mit einem Lehmzaun umgeben. Längs der Straße und oft auch  zwischen den Wirtschaften prangen in üppigem Wuchs die Kerzenpapeln. Die Häuser  sind aus rohen Ziegeln gebaut und haben Dachspeicher um das Getreide vor  Diebstahl zu schützen. Der Lehm ist dort so widerstandsfähig, daß die Häuser  zwei Generationen überleben können. Es gibt sogar mehrstöckige Mühlen, die aus  rohen Ziegeln gebaut sind und doch schon über 40 Jahre gestanden haben. Das  Bauholz bezog man früher aus dem Gebirge auf einem sehr mühsamen Wege.
 (Fortsetzung folgt.)  
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 14. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von  Elena Klassen.   Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den  Mennoniten.Von Kornelius Plett.
 (Fortsetzung.)
 Gegenwärtig baut jedoch fast ein jeder Bauer so viel Holz  auf seinem Hof, als er zu Brand und sonstigen Bedürfnisse für seine Wirtschaft  braucht. In den letzten Jahren bedurfte es aber jedesmal einer speziellen  Erlaubnis von der Behörde, um einen Baum auf seinem Hofe zu fällen. Im positiven  Falle mußte der Eigentümer sich dann verpflichten, gegen einen gefällten zwei  zu pflanzen. Um sich vor dem herumtreibenden Vieh der Eingeborenen zu schützen,  hatte man auch oft ein Saatfeld mit einem 50-60 Zoll hohen Lehmzaun umgeben.  Als Brennmaterial wurde Holz und Torf verwandt (benutzt – E.K.). Das Stroh wird  hauptsächlich zum Streuen der Pferde und Kühe verwandt um möglichst viel Dünger  für das Land zu gewinnen. Um eine Deßjatine Land zum Einsäen des Kleesamens  fertig zu machen, braucht es ungefähr 200-300 Fuder (altes Wort für eine Fuhre,  Fahrt – E.K.) Mist. Das hält dann bis 10 Jahre vor. In der Verwendung von  kulturellem Ackergerät sind die Turkestaner sehr bescheiden. Der zweischarige  Pflug, Egge, Drille, Harkmähmaschine, Grasmäher und Pferdeharke, das ist alles,  was sich dort nutzbringend verwenden läßt. Es gibt auf der ganzen Ansiedlung  nur eine Dreschmaschine und die steht schon Jahre lang untätig. Die  Dreschmaschine kann dort so gut entbehrt werden weil es in der Ernte fast nie  regnet. Somit wird das Getreide mit dem viel billigeren Dreschstein gedroschen.
 Es wäre noch manches Sonderliche aus dem Leben dieser  Leutchen zu erzählen, aus ihrer Sprache, aus ihrer Eigenart, aus dem  Gesellschaftsleben u.s.w., aber wir wollen zu dem andern Teil übergehen und  etwas aus dem Gemeindeleben erzählen.
 In geistlicher Beziehung teilten sich die Einwohner der  Ansiedlung in 3 Richtungen. Die Mennonitengemeinde, die Allianz-Gemeinde und  die Brüder-Gemeinde. Die Mennoniten-Gemeinde hat eine Reformation durchlebt,  deren Ursachen mir jedoch aus dem Gedächtnisse geschwunden sind. Genug sie  bestand darin, daß der größte Teil der Gemeinde die Flußtaufe annahm und  dieselbe auch weiterhin lehrten, wiewohl ein Rest nicht im Fluße Getaufter in  der Gemeinde geduldet wurde. Sie verbieten ihren Gliedern den Gebrauch des  Tabaks und Brantweins und predigen Bekehrung und Wiedergeburt, und üben  regelrechte Gemeindezucht. Sie nennen sich jetzt kurzerhand nach dem Namen  ihres Dorfes „die Köppentaler Gemeinde.“
 Die Allianz-Gemeinde unterschied sich von den andern in  folgenden Punkten. In der freien Abendmahlsgemeinschaft, Fußwaschung und  Handauflegung wurden nicht gehandhabt. Flußtaufe war nicht Bedinung zur  Aufnahme als Mitglied. Und zuletzt in der Taufformel. Sie taufte nämlich nicht  im Namen des dreieinigen Gottes, sondern im Namen Jesu auf seinen Tod.
 Die Brüder-Gemeinde fanden wir in den selben Dogmen wie  überall in Rußland, nur vielleicht etwas konservativer als die andern.
 In den letzten Jahren hat ein Zusammenschluß der Brüder-Gemeinde  mit der Allianz-Gemeinde stattgefunden. Dessen Hergang möchte ich etwas näher  beschrieben. Vielleicht finden andere, die in ähnlichen Verhältnisse leben,  darin einen Wink, wie man wirklich eins werden kann. Doch muß ich noch voraus  schicken, daß auch vorher zu meiner Zeit wenigstens ein Zustand der Duldsamkeit  herrschte, und die am Worte arbeitenden Brüder der drei Gemeinden auch in allen  drei Gemeinden nicht nur zugelassen, sondern sogar eingeladen wurden. Durch  diese gegenseitige Anerkennung und Duldsamkeit kann man sich immer näher, und  die Frage einer gänzlichen Verschmelzung wurde immer öfter und reger erwogen  und besprochen. Endlich wurden von Seiten der Brüdergemeinde Schritte zur  Annäherung unternommen. Man bot der freien Gemeinde an, sie dürfte 2 Brüder aus  ihrem Gemeinderat zu den Ratsitzungen der Brüdergemeinde als Teilnehmer senden,  damit sie mit der Arbeit derselben mehr in Fühlung ständen. Letztere ging auf  den Vorschlag ein. Nach kurzer Zeit erfolgte dann dasselbe Angebot von der andere  Seite. Nach Verlauf von ungefähr 2 Monaten ging man einen Schritt weiter und  öffnete die Türen der Gemeindeberatungen von beiden Seiten bis zur beratenden  Stimme. So kam man sich durch Gemeinschaft immer näher. Nach weiteren 2 Monaten  war die Frage des wölligen Zusammenschlusses so weit brennend, daß man zur Tat  schreiten konnte. Man einigte sich nun zu einer gemeinsamen Beratung, wo man  ein neues Statut ausarbeitete, woraufhin sich dann am Schlusse der Versammlung  die 2 Gemeinden zusammenschlossen. Mancher aus beiden Gemeinden mußte ja zu  Gunsten der Liebe und Einigkeit etwas von seinen menschlichen Meinungen  aufgeben. Ich sage „menschliche Meinungen,“ denn Erkenntnis des Sohnes Gottes  gibt es nur eine wahre, aber menschliche Ansichten viele. Und manchem zwang die  spätere Erfahrung das Geständnis ab, daß doch vieles von dem Ertremen, das sie  trennte, rein Menschliches gewesen sei. Gottes Segen ruhte fortan sichtbar auf  den Zusammengeschlossenen. Ein neuer Eifer für Gottes Sache zeigte sich. Es gab  sofort Zuwachs zur Gemeinde. Die Kasse füllte sich. Ein Bruder wurde angestellt  auf Jahresgehalt als Reiseprediger. Eine oder 2 Sonntagskutschen wurden  eingerichtet, die die Mittelosen, Witwen, Gebrechlichen u. Alten von weit ab  sonntäglich zur Versammlung holten und auch wieder abfuhren. Der  Jugendgottesdienst war gut organisiert, so daß man ringsum Wachstum vernehmen  konnte. Dies geschah anno 1927. Nachher wurden auch einige versuche gemacht,  mit der Köppentaler-Gemeinde näher zusammen zu kommen, doch hat es bis heute  keine wirklichen Resultaten gegeben. In diesem Zustande, wie ich ihn oben  geschildert habe, verließen wir die Ansiedlung im Mai 1929, als wir unsere  Ueberseereise antraten. Weiter kann ich von dort keine Daten angeben. Diese  Leute haben dort in der stillen Ecke von Mittelasien ziemlich abgeschlossen von  den andern Kolonien gelebt. Manche Eigenart fällt einem beim ersten Besuche  auf. Da ihre Landessprache die Kirgisische ist, so haben sie manche Worte  derselben in ihre Sprache aufgenommen. So hört man dort die große Hacke, die  man anstelle des Spatens gebraucht, niemals mit dem deutschen Namen „Hacke,“  sondern immer „Kettmenn“ nennen. Der Wassergraben wurde stets Arök genannt  u.s.w. Stellte man dem asiatischen Mennonit eine Frage, die er negativ beantworten  wollte, so sagt er in den meisten Fällen nicht nein, sondern knallte mit der  Zunge, eine Sprachformel, die meine liebe Frau und ich in den 5 Jahren nicht  erlernt haben. Unsere Jungens verstanden dagegen dieses eigentümliche Geräusch  schon meisterhaft. In der physischen Arbeit fand ich die Turkestaner  Mennoniten  mäßiger als an anderen  Ortschaften, außer in einer Beziehung, da waren sie einfach unbarmherzlich  gegen sich selbst, nämlich in Säcke tragen. Man erwarb die Säcke meistenteils  von den Kirgisen. Dieselben waren von groben Ziegen- und Pferdehaaren und für  Kameltransport bestimmt und hatten oft das Doppelmaß eines gewöhlichen  russischen Sackes. Also mit einem Inhalte von 350-400 amerikanischen Pfunden.  Mit dieser Last quälte sich ein Mann die Treppe hinauf bei der Mühle oder auch  zu Hause auf dem Boden.
 Aber trotzdem man in der Arbeit mäßig war, blieb doch noch  viel Zeit zu geselligem Verkehr. Denn das Wetter ist in jener Gegend fast so,  wie man es wünscht. Die Geburtstage wurden pünktlich gefeiert. Ja oft schon die  der Kinder. Die Gottesdienste wurden regelmäßig besucht. Selbst in der Ernte  blieb Zeit zu Bibel- und Gebetstunden. Man fühlte sich unter Leuten, die die  Gemeinschaft liebten und pflegten. Auch zeigten sie einen ausgeprägten  Missionssinn und nahmen sich reichlich der  Armen an. Aber eine Sünder war so ausgeprägt, daß man mit einigen wenigen  Ausnahmen sagen konnte, sie war allgemein. Und das war borgen und nicht  bezahlen.
 Anno 1931 erfüllten sich 50 Jahre seit der Gründung dieser  Ansiedlung. Von den Personen, die die Reise dorthin als verheiratete  mitmachten, hat meines Wissens nur einer dieses Jahr überschritten, nämlich  Onkel Herman Epp. Der Grund der Ansiedlung aus der alten Heimat in diese Steppe  war wohl ein doppelter. Der erste Grund war, um der Wehrpflicht zu entgehen,  der andere einen Bergungsort zu finden vor dem kommenden Antichristen. In  beiden Fällen sind sie nicht ganz fehl gegangen. Denn der Antichrist ist in den  ersten 50 Jahren nicht gekommen. Und in der Wehrpflicht sind sie bis zu Anfang  der Sowiets auch unbehelligt geblieben. Aber auch nach einer andern Seite hin  haben sie in einem Bergungsorte gelebt. Man nannte diese Stätte gewöhlich „die  stille Ecke“ in Mittelasien. Aber sie war es auch. Der Geist der Welt und der  Eitelkeit hatte sich dort nicht so einschleichen können wie in manchen anderen  Kolonien Rußlands. Von dieser Tatsache wurden wir die ganze Zeit unsers Weilens  dort überzengt (überzeugt? – E.K.).  Wir  haben auch von anderen gehört, deren Urteil sonst für nüchtern gehalten wurde,  und die die Kolonie vor uns besucht hatten, daß sie nirgends so fromme Menschen  gesehen wie in Turkestan. Doch nach dem die Sowietregierung sich dort wie  überall mit ihrer Sondererziehung aufgedrängt hat, ist manches anders geworden.  Es hat sich gezeigt, da´nicht alles Gold war, das gelb schien. Doch noch in  einem weiteren Sinne ist die Ansiedlung ein Bergungsort gewesen. Und zwar seit  der Zeit der Revolution sind viele ihrer Glaubensbrüder aus anderen Kolonien  gekommen und haben dort Zuflucht, wenn auch nur zeitweilige gefunden, vor  Hunger wie auch vor dem Verfolger.
 Ich will nicht unterlassen, noch auf eine edle Tat dieser  Leute hinzuweisen. Als in den Hungersjahren so viele von den Mohammedanern  umkamen, wurde von den Mennoniten eine Küche aufgemacht in einem der Dörfer, wo  täglich 100 und mehr Mohammedanern gespeist und so vom Hungertode gerettet  wurden. Ich glaube, diese großmütige Tat hat später mit gesprochen, als einige  Russen und Lutheraner ausgesiedelt wurden, daß die Mennoniten davon verschont  blieben.
 Ja bis auf den heutigen Tag sind die Verhältnisse dort  noch immer erträglicher, als in irgend einer andern mennonitischen Kolonie  Rußlands.
 Was nun uns persönlich anbetrifft, so haben wir dort viel  Liebe und Freundlichkeit genossen, so daß wir Turkestan mit den lieben  Geschwistern im Herrn noch lange nicht vergessen können. Mit was für einer  Hingabe sie uns unterstützt, mit welcher Geduld uns getragen, mit welcher  Zärtlichkeit uns ermahnt, und mit welcher Aufmerksamkeit uns zugehört, das ist  uns an keinem zweiten Ort in unserem Leben wiederfahren, so daß wir die Zeit,  die wir dort zugebracht haben, für die glücklichste in unserm Leben rechnen.  Und es berührt uns jedesmal aufs neue schmerzlich, wenn wir Nachricht bekommen,  daß wieder eine Gruppe Brüder verbannt oder eingekerkert worden ist.
 (Fortsetzung folgt.) 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 21. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von  Elena Klassen.   Erinnerungen und Eindrücke  von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.Von Kornelius Plett.
 (Fortsetzung.)
 Die Geschwister gaben uns  auch ein Sprichwort mit 1. Kor. 15, 58 als Gruß an alle überseeische Kinder  Gottes, welches ich hiermit erfüllen möchte.
 Die zweite Gruppe der  Mennoniten haben sich etwa 200 Meilen südöstlich von der ersten niedergelassen.  Diese Ansiedlung datiert vom Jahre 1924 und hat 2 Dörfer mit ungefähr 250  Einwohnern, welche auf der andere Seite der Alexanderkette am Fuße eines  Ausläuferberges liegt. Sie hat ihren Namen nach der nahen Stadt Pischpeck, die  jetzt Hauptstadt der Kirgisenrepublik ist, erhalten, und zwar die Pischpecker  Ansiedlung, wiewohl die Dörfer ihre Eigennamen haben. Diese 2 Dörfer müssen als  ein Zweig der erstgeschilderten Gruppe angesehen werden, denn es erhalten mit  einigen wenigen Ausnahmen nur solche ein Anseidlungsrecht, die in der ersteren  Bürger waren. Das Land ist dort sehr ertragsam und wird auch bewässert. Aber  trotzdem waren die Lebensbedingungen in all den Jahren sehr schwer, weil es  meistens jüngere und zudem mittellose Leute waren. Die Muttergemeinde hat denn  auch nicht geringe Opfer aufgebracht, um das Leben zu erhalten, so wie den  Wirtschaftsstand dort zu entwickeln. Man hatte gute Hoffnungen für die  Entwickelung dieser Kolonie, weil sie nahe am einem Kurorte lag, der guten  Absatz für Farmprodukte gewährte. Aber wo erst die Sovietregierung herrscht,  geht alles der Verwüstung entgegen.
 In geistlicher  Beziehung teilten auch hier die Bewohner sich anfänglich in 3 Richtungen. Als  ich zu Angfang 1929 diese Dörfer besuchte, waren sie aber bis auf einige  Familien durch die tatkräftige Arbeit des lieben Bruders Peter Bergen, früher  Schöntal, Sibirien, in eins zusammengeschmolzen und segelten unter der Fahne  der Brüdergemeinde. Trotz all der Armut hatten sie Schule und Bethaus gebaut,  und es war eine wahre Lust, diesen aufmerksamen Leuten mit dem Worte zu dienen.
 Die dritte und kleinste  Gruppe der Mennoniten in Mittelasien lebt in Chiva. Der Weg dahin geht per  Wagen, dann per Eisenbahn, per Schiff und zuletzt noch mit Kamelen. Es ist die  Gruppe, die geleitet von ihrem ursprünglichem Führer Klaas Epp dorthin geführt  wurde. Die Geschichte dieses Völkleins ist recht inhaltsreich und lang. Ich  will mich jedoch in meinen Ausführungen beschränken auf den Bericht eines  Köppentaler Bruders, der im Jahre 1928 von einem Besuche von dort zurückkehrte.  Von den wilden Wüstenbewohnern wiederholt ausgeplündert, fanden sie zuletzt  Aufnahme und Schutz bei einem Mohammendanischen Fürst, der sie in seinem  Gartenstück ihre Wohnungen aufrichten ließ, wo sie noch heute leben. Nur durch  eine Bretterwand getrennt, stehen die Wohnhäuser aneinander an der Innenseite  der Gartenmauer. In der Mitte des Gartens befindet sich Bethaus und Schule. Der  weitaus größte Zweig der Beschäftigung ist das Handwerk. Die Bodenbearbeitung  ist dort sehr kompliziert. Auch ist das Klima sehr heiß. Ein Reisender von der  Gegend erzählte mir, daß ein Ei im Sand verscharrt in der Mittagssonne  ausgesetzt, nur 3 Minuten Zeit gebrauche um zu backen.
 Auch hier teilt sich die  kleine Gruppe in 2 Teile, der Glaubensansichten halber. Und zwar die größere  Gruppe nennt sich die Mennonitengemeinde. Aber sie ist so konservativ, daß der  Bruder, der als Prediger der Mennonitengemeinde von Köppental zu ihnen gesandt,  nicht zum Worte zugelassen wurde aus Furcht, er könnte etwas von Bekehrung  sprechen und Unruhe in den Herzen der Jugend bewirken und Störung in den  liturgischen Gottesdienst bringen. Auf das Drängen der jüngeren Gemeindeglieder  wurden am nächsten Tage nach Schluß ihres Gottesdienstes doch dem Besucher das  Recht zu sprechen gegeben. Aber nicht von der Kanzel. Welch ein Zustand!  Aeußerlich die heiligste Frömmigkeit und doch Furcht vor dem Worte Bekehrung  und Wiedergeburt.
 Die überwiegend kleinere  Gruppe bei Chiwa hält noch immer fest an den Grundsätzen von Klaas Epp. Er hat  nämlich bei seinen Tode verheißen, er werde bald wiederkommen, und die ihm  Getreuen mit sich führen. Und so warten denn die betörten Leute noch immer auf  seine Wiederkunft. Sie haben keine Gemeinschaft weder geistliche noch  geschäftliche, weil sie dieselben alle für abgefallen betrachten. Sie hatten  damals auch den Besuch nicht angenommen. In politischer Hinsicht leben die  Chiwesen von allen Mennoniten Mittelasiens am meisten unbehelligt. Obzwar auch  dort Sowiets sind, so haben sie immer noch nicht festen Fuß gefaßt. So das anno  1928 noch das Kaiserbild an der Wand hing.
 (Nachbemerkung, sollten  andere deutsche Blätter interessiert sein, so dürfen sie kopieren.)
 Meine erste Missionsreise  nach Taschkent und Umgegend.
 Die Turkestaner sind sehr  sparsam mit ihren Berichten, und daher dürfte es den lieben Lesern der w.  Rundschau und der w. Redaktion derselben nicht, verdrießen, wenn sie mal für  einige Minuten ihr Auge und Ohr dieser stillen Ecke des großen Sowietbundes  zuwenden.
 Ich möchte eine kurze Reise  mit dem leser unseres Blattes unternehmen, aber diesmal nicht in mennonitische  Kolonien, doch aber nach einer Ansiedlung Deutschsprechender. Schon wiederholt  erhielt ich die Einladung, hinzukommen und ihnen den „Heilsplan Gottes“ zu  erklären. Ich möchte der Einladung folgen und du, lieber Leser, sollst mich  begleiten, damit du dann deiner Gemeinde erzählen kannst, wie wert Besuche  sind. Um Pelz und Filzstiefel brauchst du dich nicht bekümmern, denn wir  bleiben auf dieser Reise in Turkestan. Wir dürfen diesmal auch nicht Arös  umsteigen, sondern wir fahren direkt bis Taschkent. Dort steigen wir aus dem  Eisenbahnzuge aus und fahren noch eine Station mit der Straßenbahn, dann noch  ein wenig zu Fuß, und wir treten in eine kleine Hütte ein. Es sind Leute, die  früher 9 Jahre in Kanada und noch sogar in Winnipeg gelebt haben. Geschwister  Trotners. Vielleicht sind sie dir sogar bekannt. Denn hier waren sie zum  Glauben gekommen. Grüße werden gewechselt: „So bist du doch endlich da! Wir  haben aber schon so gewartet!“ „So, dann komme ich auch nicht unerwartet, wie?“  „Nein, nein, durchaus nicht.“
 Während uns ein einfaches  Tischchen gedeckt wird, wurden vergangene Erlebnisse und Zukunftshoffnungen zu  einem harmonischen Ganzen zusammengeschweißt. Wir sahen uns zwar das erstemal  in dieser Gotteswelt. Meinem Begleiter wird’s wohl ums Herz, und nach einer  Pause sagt er: „Weht hier aber eine Himmelsluft. Wie verschieden sind doch die  Zustände in den Familien. Hier möcht ich sein!“ Abends füllt sich das kleine  Stübchen mit Zuhörern, die schon von unserer Ankunft erfahren haben. Da wird  die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenlande vorgelesen. Nachdem sie ein  wenig Licht von diesem Strom empfangen und ein wenig Weisheit von den Weisen  gelernt haben, gehen sie nach Hause, um mit Hilfe ihres eigenen Sterns als  Weise zu handeln.
 Des anderen Tages kommt ein  Fuhrwerk vor und bringt uns nach dem 30 Werst entlegenen Dorfe Konstantinowka.  Vor dem Hofe des Leitenden der Baptisten, Daniel Wermai, machte es Halt. Er  steht gerade mit etlichen Brüdern vor dem Tore. „Du bringst uns doch nicht Br.  Plett?“ „Ja wohl“ „Gott sei Dank.“ Wir fragen: „Kommen wir recht?“ „Ja gerade  recht! Die Versammlung ist schon zusammen. Bitte hier noch eine Tasse Tee, und  wir gehen.“ Das Lokal war nur bis zur Hälfte gefüllt. Joh. 3, 16 zeigte der  Versammlung, was Gott getan hat, und was wir zu tun schuldig sind. Sonntag  morgen trat ein fleckenloses Muster vor die Herzen der Versammelten in der  Gestalt Daniels, und mancher Entschluß wurde gefaßt, demselben zu folgen.  Nachmittag besuchte die Versammlung das Grabmal des Königs Saul und fand dort  die Inschrift: „Auserkoren und dennoch verloren.“ Am Abend begann dann die  Erklärung des Heilsplanes vermittels einer selbstgezeichneten Karte. Das Lokal  füllte sich. Unter den Besuchern war auch ein ziemlicher Teil, die sich  Kirchenbrüder nannten. Als Letztere nun merkten, der Raum sei zu klein für  beide Gemeinden, dann boten sie ihr Bethaus an, weil es ziemlich größer und  räumlicher sei, als das der Baptisten. So wurde denn für die nächsten Abende  die Versammlung dorthin verlegt. Hier wurden im Verlaufe dieser Abende bei  einem manchen die Vorurteile umgestoßen. Am Boden lagen Scheinstützen,  Meinungshäuschen und derg.m. Manch eine verkehrte Auffassung der  Heilswahrheiten ist für immer zu Grabe getragen. Dieses ist meinem Begleiter  besonders auffällig, es ist ihm auch sonst noch manches aufgefallen. Darum  wollen wir ihn jetzt etwas näher mit dem Ursprung der Gemeinde bekannt machen.  Wir rufen dazu den Leiter der Gemeinde und lassen ihn seine Geschichte selbst  erzählen. –
 Als ich einmal konfirmiert  wurde, mußte ich 3 Verse von dem Liede: „Befiel du deine Wege“ – auswenidig  lernen, und daraufhin wurde ich dann als würdiges Glied in der Gemeinde erklärt  und bekam das Abendmahl. Und wie mit mir so war`s mit vielen. Jahre vergingen.  Ich führte ein ausschweifendes Leben. Eines Tages bemächtigte sich meiner ein  herzbeklemmendes Gefühl, das ich garnicht verstehen konnte. Es wurde immer  stärker und gab mir weder Tag noch Nacht Ruhe. Ich wollte auch schon beten,  wußte aber nicht, was ich beten sollte, bis mir ein Gebetlein, das Mutter mich  gelehrt, in mir wach wurde, welches ich dann in kindlicher Einfalt betete. Doch  genügte auch das nicht mehr, ich schrie zu Gott. Ich fing an, Gottes Wort zu  lesen, bis ich zum Frieden kam. Ich fing an, davon zu den Bessergesinnten zu  sprechen und fand, daß mehrere solche Erfahrung gemach hatten. Jetzt fragten  wir uns, wie jetzt weiter? Wir sahen ein, daß wir nicht auf dem richtigen Wege  waren, aber was zu tun, wußten wir nicht. Wir wandten uns an unseren Pastor,  aber der hatte für unsere Erfahrungen und Bedürfnisse kein Verständnis. Zeiten  vergingen darüber, da traf es sich einmal, daß ein russischer Bruder bei uns  nächtigte. Bei der Unterhaltung mit ihm merkten wir, daß er gerade so dachte  wie wir, in seiner Rede war derselbe Ton, und in Herzen dasselbe Gefühl wie bei  uns. Als er uns nun noch sagen konnte, daß er einer Gemeinde angehöre, die auch  so denke und auch so handele, da blitzte ein neuer Lichtstrahl durch unsere  Seelen. Jetzt hatten wir zwar ein neues Thema zum Gespräch, aber wie weiter  handeln, war immer noch nicht klar. Die Trennung von der alten Kirche schien  uns gerade zu schrecklich. Endlich waren wir soweit, daß sich etwa 30 Personen  einigten, aus einer russischen Baptistengemeinde Brüder zu rufen, die uns  taufen sollten und eine Gemeinde organisieren helfen. Die Brüder kamen, prüften  unsern Glauben, tauften uns und organisierten einigermassen, fuhren dann wieder  fort und überließen uns dem Schicksale.
 (Fortsetzung folgt.)
 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 28. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von  Elena Klassen.   Durch Mittelasien.Erinnerungen und Eindrücke  von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.
 Von Kornelius Plett
 (Fortsetzung und Schluß)
 Wir hatten niemand, der uns  die Schrift auslegte, niemand, der uns in Gemeindezucht unterwegs oder auch uns  belehren konnte über das „was lieblich ist und wohllautet.“ Wir hatten wohl die  Kraft der Jugend, aber nicht des Alters Rat und Tat. Darum werdet ihr manches  finden, was euch Wunder nimmt. Wir haben aber ein Herz bewahrt, uns belehren zu  lassen, und dazu haben wir Euch gerufen.
 Die folgenden Tage d. Woche  wurden auf folgende Weise verbracht. Vormittag lernten die Brüder, die am Wort  arbeiten, welches nebenbei bemerkt, der größte Teil der männlichen Glieder der  Gemeinde ist, das A.B.C. des Predigerberufs. Wohl das erstenmal wurde den  Brüdern gesagt, daß sie sich auf ihre Predigt vorbereiten müßten. Wie viel neue  Winke gab es da, und wenn ich auch nur das allerwenigste bieten konnte, so gehe  ich doch nicht fehl, wen ich behaupte, daß bei dieser Art der Beschäftigung den  Brüdern die Biebel ganz neu wurde. Nachmittag hatten auch die Schwestern  zutritt. Es wurden dann längere Abschnitte der h. Schrift verhandelt, z.B.  Gleichnisse oder auch Auszüge aus den Briefen. In dieser Woche wurden die Tage  einer Woche in Konstantinowka verbracht. Die Versammlungen füllten sich immer  mehr; und gar oft hörte man sagen: „Ach wie verlaufen die Stunden so schnell,  wir haben die Arbeitszeit noch zu kurz bestimmt.“
 Zum nächsten Sonntage gings  zu einem etwa 8 Kilometer entlegenen Dorfe. Auch hier kamen uns die  Kirchenbrüder so weit entgegen, daß sie uns ihr Versammlungslokal auf 5 Tage  zur Verfügung stellten. Sie hatten aber die Bitte, daß der Gottesdienst nach  ihrem Brauch im Namen des dreieinigen Gottes eröffnet und mit dem „Vaterunser“  geschlossen werden möchte. Ein Gebrauch, der mir bis dahin fremd gewesen war.  Es sei noch bemerkt, daß zwischen letzteren und ein Baptisten ein Zustand  besteht, wie wir ihn, Gott sei es geklagt, auch oft in mennonitischen Kreisen  zwischen Mennonitengemeinde und M.Brüdergemeinde finden, daß man sich überhebt,  verachtet und sogar bekämpft. So war es auch hier. Und nur die Neugierde zum  Heilsplan hatte sie bestimmt, uns das Haus zu öffnen. Sie hatten aber einen  Beschluß abgefaßt, daß niemand von ihren Predigern sich in diesen Versammlungen  aktiv beteiligen dürfte. Nun machte es sich aber ganz wunderbar, daß gerade  „sie“ dieses Verbot übertreten mußten. Auch hier wurde die Darstellung des  göttlichen Erlösungsplanes für die Abende verlegt. Wenn ich dann mit meiner  Arbeit fertig war, welches für gewöhnlich 2 Stunden nahm, blieb die ganze  Versammlung zusammen, als ob sie noch mehr hören wollte. Aus Mangel an Raum  waren die arbeitenden Brüder auf die Anhöhe des Altars genötigt worden. Br.  Daniel Werwai, der Leitende der Baptisten, merkt die Gesinnung der Versammlung  und wendet sich an einen der erwähnten Brüder mit folgender Bitte: „Na sage  doch noch etwas zur Versammlung, du siehst ja, sie wartet darauf.“ Doch der  zögert. Dann wendet Br. Werwai sich an die Versammlung mit den Worten: „Ich  denke, der Bruder sagt uns noch etwas, nicht wahr?“ „Na ja“ – alle  einverstanden. Und so mußte er denn doch hervor. Den nächsten Abend ein Andrer,  bis zuletzt der Leitende am letzten Abende unter Händeringen folgendes  Geständnis ablegte: „Ihr wißt ja, Brüder, daß wir beschlossen hatten, hier  nicht zu sprechen. Aber ich muß gestehen, daß ich heute ganz anders denke. So  wie wir gestanden haben, kann`s nicht länger bleiben.“ Er schloß  zusammenfassend: „Ich kann nur sagen, was hier an diesen Abenden gesprochen  worden ist, ist wie aus meinem Herzen u. ich sage ja und amen dazu.“ Dies ein  Beispiel von vielen zeigt meinen Begleiter, wie das Wort nicht gerade  erweckend, so doch aber verteifend (? – E.K.) wirkte.
 Von hier  ging es Freitag morgen nach dem 12 Kilometer  seitwärts gelegenen Dorf Gornoje, welches zur Hälfte rissisch und deutsch  angesiedelt ist. Die kleine Gruppe Geschwister fanden wir hier noch mehr  vernachlässigt in der Erziehung als in den andern 2 Dörfern. Nachmittag sahen  wir hier an der Hand von Apostg. 27, 25 den Glauben während des Sturmes. Abends  befanden wir uns mitten in der Versammlung auf dem Berge Karmel. Wir sahen uns  dort die dreiklassige Versammlung etwas näher an. Dann die Beschäftigung dieser  Versammlung und das glänzende Resultat, welches dieselbe zur Folge hatte. Und  es wirkte auch hier Früchte. Ein Mann, der den Herrn verlassen hatte, entschloß  sich, wieder ihm zu dienen. Ein anderer sagte: „der Mann hat recht gepredigt!  Auf beiden Seiten hinken ist ein schweres Leben, daher will ich von heute an  dem Teufel ganz dienen“, darauf trank er bis zur Bewußtlosigkeit. Sonntag in  aller Frühe trafen von allen drei erwähnten Dörfern die Geschwister in  Konstantinowka ein, um hier vormittags über die Gefahr des Zweifels zu hören,  nachmittags das Abendmahl und den Abschiedsabend zu feiern. Am nächsten Tage  vor meiner Abreise waren noch recht viele wieder erschienen und es wurde nun  noch ein Lied eingeübt, das uns schon längst bekannte: „Wir weilen bei dem  Lebenswasser.“ Ein junger Bruder, der sich ein längeres Andenken dieser  Tage  bewahren wollte, machte noch eine  photographische Aufnahme, und der Wagen setzte sich in Bewegung, der uns der  nächsten Bahnstation entgegenbringen sollte.
 Jedesmal, wenn man mit einem  Menschen oder einer Gruppe derselben in Berührung kommt, lernt man etwas. Man  sieht dann, wie es ist und wie es nicht sein sollte. Und auch diesmal will ich  erzählen, was mir bei dieser Besuchsreise auffiel. Außerordentlich gefiel mir  das viele Singen in der Gemeinde. Entbehren sie auch eines Chors in Ermangelung  eines Dirigenten, so tut die Gemeide um so mehr ihre Pflicht, den Gesang zu  pflegen. Es herrscht da keine unheimliche Totenstille in den Versammlungen, wie  das oft in unseren Gemeinden, wo kein Chor ist, der Fall ist. Weiter gefiel mir  die freundliche Art und Weise der Geschwister im gegenseitigen Umgang mit  einander. Ferner gefiel mir das viele Fragenstellen über biblische Wahrheiten,  welches manche geistige Anregung gab. Ich weiß nicht, sind unsere Mennoniten  ein so denkfaules Volk, oder ist ihnen schon alles aufgeschlossen, denn bei uns  findet man durchgängig das Gegenteil. Auch die Freigibigkeit der Gemeinde  durfte als Muster gelten. O wie oft schon hat sich der Geist Gottes von einer  Gemeinde zurückgezogen wegen des Geizes vieler seiner Bekenner. Sie haben den  Herrn beraubt beim Zehnten und beim Opfer. Sie dachten jedesmal: schon wieder  eine Kollekte. Gott ist beschimpft worden durch filzige Gaben. Was man sich  geschämt haben würde, einen irdischen Freund zu geben, hat man Gott  dargebracht. Kennst du nicht auch solche Leute, die in einem Jahre nicht mehr  für die Sache des Herrn geben, als ihnen die Weihnachtsleckerbissen kosten? In  diesen Stücken fand ich hier ein Muster. Auch die Bereitwilligkeit, sich  belehren zu lassen, dürfte wohl noch Erwähnung finden. Nun noch einiges  Tadelnswerte. Da die Meisten weder schreiben noch lesen können, so sang man die  Lieder meistens auswendig; und hier bemerkte man, daß sie beim Singen sehr  gedankenlos oder gedankenvoll waren, d.h. nicht dabei, so daß es vorkam, daß  ein und derselbe Vers im Liede dreimal wiederholt wurde, ohne daß man es  bemerkte. Das zweite Uebel, das ich bemerkte, war das Vorschreien der Lieder.  Eine Methode, die ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Die Gemeinde sang das  Lied ohne Unterbrechung und einer schrie den Text in den Gesang hinein, so daß  von diesem oder jenem nicht viel zu verstehen war. Einen andern groben Fehler  sah ich in der Personnenvergötterung. Ich will das nur andeuten. Die  Geschwister kommen in die Versammlung und setzen sich auf die hintersten Plätze  mit der Absicht, nach vorne genötigt zu werden. Werden sie dann genötigt, so  ist`s ihnen noch nicht gleich, wer es tut, gehen endlich einige Plätze höher  hinauf, um nochmal weiter genötigt zu werden. Und dieses auch noch während der  Gottesdienst schon eröffnet ist. Weiter will ich nichtdarauf eingehen. Das  größte Unglück sah ich aber darin, daß den Geschwistern die Kunst abging, ihre  Kinder zur Teilnahme am Gottesdienst anzuhalten. Und nun lieber Leser, der du  mich auf dieser kurzen Reise begleitet hast, gehe hin, erzähle deiner Familie,  deiner Gemeinde, was dir gefallen oder nicht gefallen hat. Ich habe die  Verheißung Matth. 19, 29 auf dieser Reise reichlich erfahren dürfen. Es sind  nun 4 Jahre her, seint meine Augen aufgehört haben, in die von Freude  strahlenden Angesichter zu blicken, doch träumen die Sinnen noch oft von  genossenem Glück. Die Seele schwimmt in Freuden, eingedenk der verlebten tage.  Die vielen Gegenswünsche, Händedrücke und Fürbitten finden noch oft ein  lebhaftes Echo im Herzen. Ehre sei dem Herrn, der uns diese Gegenstage machte.  Möge nun für ihn Frucht der Ewigkeit erwachsen.
 Ende. 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 27. Juni 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.   Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet. Es  war am 21. Januar 1928, etwa um 9 Uhr morgens, als die kleinen dunkelgrauen  Augen meiner lieben Frau, das letztemal vor dieser langen Reise, mich ins  Angesicht schauten und in ihrem außergewöhnlichen Glanz verrieten, daß unter  ihnen ein liebewarmes Herz klopfte. Die durch Lebenskummer nur zu früh  gegrabenen Falten des Gesichts zeigten diesmal unzweideutig, wie tief in der  Seele Sorge, Furcht und Sehnen mit der Zufriedenheit um d. Sieg kämpften. Es  schien, als wollte der letzte Kuß mir sagen: Nur um Jesu willen lasse ich dich,  weil er sich für mich gegeben. Anders schien es mir bei den Kindern zu sein.  Den kräftigen Händeschlag wollte ich so verstehen, als hätten sie eine doppelte  Freude an meiner Reise: einmal, daß sie für lange Zeit der Aufsicht des Vaters  entzogen seien und zweitens, daß in Aussicht gestellte Geschenk bei der  Rückkehr. Trennungsgefühle sowie väterliche Sorge für die lieben Meinen wollten  noch lange den normalen Gang meiner Gedanken stören, so daß ich Mühe hatte,  meine Mission an dem Fuhrman Peter A.Wall zu vollenden. Wir kamen erst um 8 Uhr  Abends in Bogoslowka an. Ich hatte mich mit keiner Adresse versehen und wußte  somit nicht wohin. Mein Fuhrmann ebenfalls nicht. Nun führte uns der Herr in  das Haus einer Frau Quiring, deren Mann nicht gerade zu Hause war. Nachdem wir  uns am Tee erwärmt, gingen wir zum Leitenden der Gemeinde, Heinrich Sukkau, um  meine Ankunft zu melden. Ich traf da gerade eine Gruppe Jungfrauen beisammen,  die Handarbeiten herstellten, und da sie am Schlusse ihrer Stunde angelangt  waren, bekam ich die Aufgabe, mit ihnen ein Wort Gottes zu lesen. Beim vorlesen  von Matth. 26, 36-46 trat eine Totenstille ein, und der Ausdruck tiefen Ernstes  lagerte sich auf allen Gesichtern der Anwesenden. Sonntag morgens versammelte  sich eine kleine Gruppe von Zuhörern zum Gottesdienst. Der treue Herr, des ich  bin un dem ich diene, gab mir ein Wort zur Betrachtung, welches, wie ich spüren  durfte, nicht ohne Segen blieb. Gleich nach dem Gottesdienst fuhren wir weiter  der Stadt Aulie-Ata zu. Es schneite wie aus dem Sack. Ich dem Hause der Geschw.  Joh. Bold begegnete ich vielen freundlichen Angesichtern. Waren doch 5 Mon.  Verflossen, seid wir uns das letztemal gesehen. Noch am Abend desselben Tages  weilten wir im Bethause der Baptisten russischer Sprache. Ich hatte nun  Gelegenheit, 4 Abende mit dem Worte zu dienen. Am Tage durfte ich einige  Geschwister in den Häusern besuchen, die leiblich und auch geistlich krank  waren. In einem Hause, wo der Mann gläubig, die Frau aber noch ungläubig war,  und wir ein ernstes Gespräch miteinander hatten und uns dann knieend zum Gebet  vereinigten, schrie die Frau derart im Gebet zu Gott, daß ich fürchtete, sie  könnte in eine Eckstase geraten. Während meines Weilens in dieser Stadt wurde  ich wiederholt an Psalm 12, 2-5 erinnert. Diese Gemeinde, Gott sei es geklagt,  ist ihrer Umgebung kein Muster gewesen. Man sagt wohl, die Uebertretung sei  vergeben, die Missetat gesühnt und die Sünde bedeckt, dessen ungeachtet wurde  mir doch alles erzählt, was geschehen war und von jeder Seite suchte man sich  zu rechtfertigen. Man litt noch vollständig an der Wunde. Das Amt des Leitenden  ist in dieser Gemeinde der Reihe nach ausgeteilt worden. In diesem  pathologischen Zustande beschäftigten sie sich nun mit der Frage der  Frauenemanzipation. Auch die Erziehung der Kinder in christlichem Sinne lag  sehr im Argen. Ich denke und sage immer, wo man den Wert und die Aufgabe der  Kindererziehung richtig erkannt hat, da werden sich die Schwestern nie drängen  zum predigen. Ich glaube weiter behaupten zu können, daß ein großer Teil der  Schuld, des zerütteten Zustandes der Gemeinde auf das vernachlässigte  Kämmerleinsgebet zurückzuführen ist. Wenig Liebe, wenig Hochachtung  gegeneinander. Viel Vorrat von Eigenliebe, Selbstgerechtigkeit, schwach in  Erkenntnis, Mangel an Interesse, stark an Eigenwille. Das ist im Zusammenhang  mein Empfinden von der Auliatiner Gemeinde.Als  ich 4 Tage daselbst verweilt hatte, wurde mir, nach ihrem Gebrauch, das  notwendige Reisegeld bis zur nächstliegenden Gemeinde eingehändigt. Ich war  also auf dieser Reise ein doppelter Gesandte. Die Mennoniten Brüdergemeinde  hatte mich gebeten, diese Arbeit zu übernehmen, weil sie aus Dankbarkeit dafür,  daß sie viele Jahre unter diesem Volke im Frieden hatten leben dürfen, etwas  für dieses Volk tun wollten. Und das Beste, was sie für sie tun könnten sei  doch, ihnen das Evangelium zu bringen. So versorgte denn die Gemeinde meine  Familie daheim und ich fuhr für die Gemeinde mit der guten Botschaft  hinaus.Doch als Prediger der Mennoniten hätte ich wohl an wenig Orten Zutritt gehabt,  weil die meisten russischen Gläubigen sich Baptisten nennen. So stellte denn  die Gemeinde mich dem asiatischen Baptistenbunde zur Verfügung und dieser  rüstete mich mit den notwendigen Dokumenten aus, an denen man in Rußland nie  arm sein durfte, und finanzierte die Reise. Da der Bund nun meinte, die  Gemeinden müßten im Gebet erst erzogen werden, so wollte Er ihnen auch  Gelegenheit dazu geben.
 Fünfzehn  Stunden Eisenbahnfahrt brachten mich nach dem 250 Kilometer südöstlich  gelegenen Pispeck (später Frunse und heute Bischkek – E.K.). Auf dem Zuge traf  ich mit Br. J.Barkman zusammen und wir schlossen Reisegesellschaft. Ein  einfaches Fuhrwerk brachte uns in ein Auffahrtshof, von wo aus wir dann die  russischen Geschwister aufsuchten. Bei einem Br. Karl Soweljewitsch Bondarunko  fanden wir vorläufig freundliche Aufnahme. Obzwar die einzige Stube, die er  bewohnte, nur sehr klein war, so diente sie doch als Gaststube, Küche und  Kammer. Und obzwar seine Familie aus 6 Seelen bestand, so hatte doch auch noch  das junge Kalb ein Plätzchen in dieser Stube. Das einzige Bett, nach  kleinrussischem Typus gebaut, das er sonst mit seiner Frau benutzte, wurde für  Br. Barkmann und mich zurecht gemacht. Wie er geschlafen haben mag, weiß ich  nicht. Als nach einigen Tagen die Brüder für uns ein anderes Quartier gesucht  hatten, fühlte der Gastgeber sich sehr zurückgesetzt, daß man ihm die Gäste  wegnahm.
 Ich  wurde nun in das Haus der Geschwister Pusankow versetzt, wo ich sehr angenehm  bewirtet wurde. Die Schwester hat ihre Pflicht in der Gastfreundschaft aufs  beste erfüllt. Möge ihr der gerechte Lohn nach Matth. 10, 42 nicht verloren  gehen.
 Nachdem  ich einige Abende freie Erbauungsvorträge abgehalten hatte, wurde ich von den  Geschwistern gebeten, den „Heilsplan“ zu erklären, welches 6 Abende in Anspruch  nahm. Da die meisten Brüder am Tage vernommen waren, so konnten wir am Tage  keine Versammlungen veranstalten, außer zwischen 4-6 Uhr nachmittags. An diesen  Abenden versuchte ich, den Brüdern, die am Worte arbeiteten, einige Winke in Homiletik  (Unter Homiletik wird in der Theologie die   Predigtlehre verstanden – E.K.) zu geben. Am Tage durfte ich dann einige Geschwister in ihren  Wohnungen besuchen. So wurde ich eines Tages ins Haus der Geschwister  Schtscherebingina eingeladen. Hier fand ich 3 Töchter mit folgenden Namen: Die  älteste hieß „Glaube“, die nächste „Hoffnung“, die jüngste „Liebe“ ( auf  russisch: Вера, Надежда, Любовь – E.K.). Die beiden ältesten rühmten die Gnade Gottes, die jüngste,  etwa 12 Jahre, noch nicht. Sie behauptete aber, den Herrn Jesum zu lieben und  versprach, ihn zu suchen. Dieses Versprechen gab sie mir schriftlich, und ich  bewahr es auf. Da diese 3 Mädchen von lauter Lobgesängen zusammenhingen, so  lehrte ich sie 2 Tischliedchen singen, deren Melodie sie mit Leichtigkeit  auffingen. Tischlieder waren bei den Russen noch unbekannt, so daß ich 2  derselben aus dem deutschen übersetzte: „Herr, weiß`uns deine Gaben ein“ und  „Vater deine Kinder küssen“.
 In  einem andern Hause wurde ich eingeladen von einer Witwe, die noch eine ledige  aber auch gläubige Schwester bei sich hatte. Sie wohnten ganz auf der südlichen  Seite der Stadt und zählten sich mit noch einer Frau zu den einzigen gläubigen  in diesem Viertel. Diese letztgenannte Frau wurde auch herbeigerufen, und die  kam wie einst die Königin von Saba um Salomo mit Rätseln zu versuchen. Diese  Schwester hatte schon so viel Fragen auf ihrer Seele, die einer Lösung harten,  so das uns 1 Tag viel zu kurz wurde. Es tat mir herzlich leid um diese  Schwester. Sie suchte ein teifes Leben der Seele, konnte es aber in der  Gemeinde, die so viel Trauer erlebt, nach der törichten Trennung nicht finden,  und so hatte sie angefangen, es in anderen Seckten zu suchen und war nahe zu  verirren. Ich seufzte nur, daß der Herr mir immer die richtige Antwort geben  möchte um der suchenden Seele zu helfen.
 Den  ersten Sonntag meines weiles in Pispeck fügte es der Herr so, daß ich mit Br.  Barkmann zusammen auch noch eine deutsche Versammlung veranstalten konnte. Es  waren so 6 oder 7 Familien zusammengekommen. So weit die deutschen Bewohner der  Stadt bekannt waren fehlten noch etwa 6 oder 7 Familien. Alles Mennoniten. Ich  durfte die Versammlung einleiten, in dem ich von dem größten Verhör der  Weltgeschichte nach Psalm 2,2 sprach und Br. Barkmann machte dann noch einen  abgerundeten Schluß, anschließend an dem letzten Vers des 2. Psalms. Beim  auseinandergehen meinten die Leutchen: „das war mal wieder so heimisch.“ Sie  hätten schon monatlang keinen deutschen Gottesdienst gehabt.
 Die  Stadt Pispeck (jetzt Frunse genannt) zählt ungef. 60,000 Eomwohner. Die  Gemeinde der Baptisten etwa 75 Mitglieder. Was für ein geringer Prozentsatz im  Vergleich zu der Gesammteinwohnerzahl. Es ist fast weniger, wie Lot in Sodom  ausmachte.
 Die  Zeit meines Aufenthalts in der Stadt belief sich auf rund 14 Tage. Die ganze  Zeit über war es außergewöhnlich kalt. Das Quecksilber im Termometer stieg bis  auf 29 Grad Reaumur.
 Eine  überaus schwierige Frage in der Stadt war die Brotfrage. Die wenigen Brotläden,  die noch operierten, sammelten sich die Reihenfolge schon um Mitternacht. Zudem  gab es nur eine geringe Ration auf den Erscheiner, so daß große Familien bis 2  Mann in die Reihe stellen mußten, um nicht zu verhungern.
 Doch  das erste wichtigste Geschäft für einen Reisenden war immer die Registration  der Dokumente. Die Sowetregierung will allezeit wissen, was für Elemente in die  Stadt eindringen. Ebenso gesetzesgehorsam wanderte auch ich am 2. Tage in den  W.Z.U.K. und stellte mich vor. Man nahm mir die Dokumente ab und verströstete  mich auf morgen. Als ich den andern Tages wieder erschien, riet man mir, eine  schriftliche Eingabe (Sajawlenije) zu machen, worauf man mir dann willfahren  würde (? – E.K.) So nahm ich denn einen Bogen Papier und schrieb die Eingabe  folgenden Inhalts:
 Dem  Administrationamte der Kirgisenrepublik.
 Von  Bürger Kornelius Joh. Plett.
 Eingabe.
 Mit  nächstfolgenden bringe ich zur Kenntnisnahme, daß ich zur Stadt Frunse gekommen  bin, als Prediger des Evangeliums zu arbeiten im Berhause der Baptisten, im  Verlauf von 8 Tagen, also bis zum 6. Feb. 1928 und bitte um Registration meiner  Dokumente.
 K.Plett,  den 29. Januar 1928.
 Darauf  ging ich und überreichte dem diensthabenden Beamtem die Papiere mit der Eingabe  und jetzt hieß es wieder „morgen“. Und so ging ich 10 Tage oft 2 mal am Tage und  immer hatte der Mann eine Ausrede.
 (Fotzsetzung folgt.) 
      Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 4. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.   Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.(Fortsetzung)
 Einmal  war der Kommissar nicht zu Hause, ein anderesmal in einer Sitzung, ein  drittesmal mit Arbeit überhäuft, und so fort usw. Als ich am zehnten Tage  wieder kam, schämte sich der Mann doch auch schon etwas. Ich sagte zu ihm: Man  braucht aber wirklich eine Eselsgeduld, um von Euch etwas abzuwarten.“Ja meine  Teurer,“ erwiderte er, „das ist nicht von mir abhängig.“ „Von wem denn?“ fragte  ich. „Vom Kommissar“ gab er zurück. „Und wer ist der Kommissar?“ fragte ich  weiter. „Das Oberhaupt in dieser Beziehung,“ meinte er. „Der Kommissar,“ sag  ich, „ist eine diensthabende Person, so gut wie auch Sie und ich, und er hat  einen freien Bürger der S.S.S.R. nicht so schimpflich zu behandeln.“ Die  umsitzenden Tischgenossen waren indes aufmerksam geworden und einer von ihnen  rief mir zu. „Warum regen Sie sich so auf?“ „Ja das ist wohl nicht zum aufregen  10 Tage wegen so einer Kleinigkeit aufgehalten zu werden.“ „Sie müssen Geduld  haben,“ fuhr er fort. „Ich habe wohl noch nicht Geduld gezeigt? Ein anderer  hätte Euch längst geflucht.“ „Ja,“ sagte er weiter, „aber Sie müssen das alles  in Geduld ertragen.“ „Wie so?“ fragte ich erstaunt. „Weil ihre Lehre das  verlangt,“ und dabei zog ein höllisches Schmunzeln über seine Lippen.  Mittlerweile trat eine andere amtliche Person an den Tisch und an dem Gespräch  merkte ich bald, daß es der Kommissar sei. Ich wandte mich nun mit der dreisten  Frage an ihn. „Sind Sie etwa die Persönlichkeit, die bis dahin meine Papiere zu  registrieren verzögert?“ Fragend blickte er den Mann an, mit dem er zuvor  gesprochen. „Nun,“ sagte dieser, „dies ist der regiliöse Mann, um deswillen ich  täglich bei Ihnen vorsprach.“ Darauf schaute er dann etwas verlegen umher,  diesen Moment nutzte ich aus und sagte in herausforderndem Ton: „stehe ich  nicht auf gesetzlichem Boden, dann sagen Sie mir doch direkt ab, habe ich aber  gesetzlichen Grund unter den Füßen, wie haben Siedann ein Recht, die Sache so  zu verziehen?“ Während ich noch sprach, lagerte sich eine dunkle Gewitterwolke  um seine Stirn und in gebieterischem Ton herrschte er mich an: „Ich werde nicht  eher die Erlaubnis geben, ehe ich nicht gut bekannt bin mit der Sache,  inwieweit sie nicht den Gesetzen der Sowjetmacht zuwiderläuft.“ „So! so! und  wieviel Zeit wird dieses Studium in Anspruch nehmen?“ frage ich weiter. „Das  kann ich nicht sagen“ erwiderte er, „aber Sie dürfen sich die Sohlen garnicht  unnötig abscheuern, indem Sie jeden Tag kommen. Kommen Sie um 4 Tage wieder,  dann sind wir mit der Sache fertig.“ Als ich um 4 Tage wieder erschien, hieß es  wieder um eine Woche. Ich war jedoch schon fertig mit meiner Mission, denn  meine Zeit war schon doppelt herum. So forderte ich meine Dokumente kategorisch  zurück. Darauf wollte man aber garnicht eingehen. Mit großer Mühe, vielem Hin-  und Herlaufen und mit einer weiteren schriftlichen Eingabe gelang es mir doch,  zuletzt meine Papiere, die ich ja unumgänglich zur Weiterreise gebrauchte,  zurückzubekommen.Wenn  ich nun noch kurz meine Eindrücke und Empfindungen inbetreff des inneren  Zustandes der Gemeinde  kundgebe, so muß  ich sagen, daß es mir so schien, als liege die Ursache der ganzen Krankheit der  Gemeinde in dem geistlichen Hochmut. Die sonst so lieben Geschwister hatten  einfach nicht verstanden, den Rat Pauli: „einer achte den andern höher als sich  selbst“ auszuleben. Ich gebe mich jedoch der Hoffnung hin, daß die vielen  Leiden, deren Gott sie in letzter Zeit gewürdigt hat, mit dazu beitragen  werden, sie auf eine höheren Stufe des geistlichen Wachstums zu heben. Der  große Schaden bei der ganzen Sache ist nur, daß viele schwache Pflänzlein in solcher  Zeit allgemeiner Zerrüttung ohne Pflege umkommen, welches auch in der Frunsiner  Gemeinde der Fall war.
 Am  10. Februar besorgten die Geschwister für mich ein Fuhrwerk, das mich nach der  250 Kilometer entlegenen Stadt Almaata (zu deutsch, „Apfelvater“) bringen  sollte. Etwa um 3 Uhr nachmittags kam der Arbakesch (so nennt man dort den  Fuhrman) und ich stieg in den kleinrussischen Wagen ein, der ein Verdeck von  Rohrmatten hatte. Schwester Djatschen brachte mir noch einige Koteletten und  Konfekt als Zehrung auf den Weg. Ljuba Schtscherbingina holte aus ihrem kleinen  Konditorladen einige Pfefferkuchen und Kringel und schüttete sie in meinen  Reisekorb und so war für Zehrung auf den weiten Weg gesorgt. Der Mensch lebt ja  auch nicht vom Brot allein. Aber Hotels mit fertigen Mahlzeiten gabs in jener  Gegend nicht. Keine Eisenbahn. Und die Autos durften nur Regierungsbeamte  fahren.
 Mein  Fuhrmann fuhr noch auf 4 Stellen an und lud weitere 4 Passagiere auf, das wir  auf dem kleinen Wagen zu 6 Personen waren. Außerdem viel Gepäck. Wir lagen wie  die Fische in der Tonne. Der erste Anhaltepunkt war Gegorowka. Die  Auffahrtshöfe waren so voll, daß wir es vorzogen, im Wagen zu übernachten. Es  ging sonst auch, nur wollten die Füße immer erstarren, denn es war 25 Grad  kalt. Noch lange vor Tagesanbruch gings wieder weiter. Um 9 Uhr morgens waren  wir bei Segakienka, der letzten Station vor dem großen Kurdaj-Gebirge  angekommen. In den Auffahrtshöfen herrschte solche Unreinlichkeit, das der Tee  fast nicht herunter wollte. Weil gerade 3 Wochen seit meiner Abfahrt verflossen  waren, so schrieb ich schnell eine Karte an meine Familie, und dann gings dem  Kurdaj hinauf. Es war für das kleine Pferdchen eine hundertprozentige Leistung,  diesen Berg zu erklimmen. Er soll nach Aussagen der örtlichen Bewohner 4  Kilometer hoch sein. Oben hat er eine Platte von 12 Kilometer breit. Oben  angekommen, waren wir in eine ganz andere Welt eingefahren. Es herrschten da  vollständig siebirische Zustände. Eine dicke Schneeschicht bedeckte das ganze  Gefilde. Den Tag vorher war hier so großer Schneesturm gewesen, das die  Automobile eingestiemt waren. Die häufige Veränderung des Wetters, die hier  oben mehr wie irgendwo zu Hause ist, warf uns Glück in den Schoß; denn an dem  tage, wo wir den Gebirgskamm passierten, sandte die Sonne ihre warmen Strahlen  herunter, der Himmel zeigte ein reiches Blau, und der Wind schien Feiertag zu  haben. Der Weg war für den Wagen fast unfahrbar, die Räder schnitten so tief in  den Schnee, daß die Achsen noch immer Schnee mitschleiften. Aus diesem ergab  sich nun nur ein Geleise. An Vorbeifahren war nicht zu denken. Die ganzen 12  Kilometer war Fuhre an Fuhre. Eine unübersehbare Karawane. Mit großer  Anstrengung kamen wir mit Anbruch der Abenddämmerung bis an den Abhang des  Berges. Kaum hatten wir begonnen uns herunter zu lassen, als von neuem der  Sturm los brauste und tausende Fuhrwerke auf dem Berge übernachten hieß. Als  uns später noch einige nachkamen, erzählten sie von dem Schicksal derer, die  droben bleiben mußten. Dem einen waren die Wangen, dem andern die Nase und  einem dritten die Füße angefroren. Wie dauern mich noch heute diese armen  Menschen, die von der Sowjetbehörde wie Sklawen getrieben werden, ohne  Rücksicht auf Wetter, Kleidung oder die Dürftigkeit der Pferde. (bedauern? Tun  leid?– E.K.) Und was fuhren sie den alle? Den letzten Rest des Brotes, Futters  und des  Saatgutes.
 Am  12. Februar sehr früh morgens ging`s von Kurdaj weiter dem Gebirge entlang.  Eine unbewohnte wasserlose Gegend. In Abständen von 30 bis 40 Kilometer kleine  Stationen von der Postbehörde eingerichtet, und von einigen Mohammedanern  bewohnt.
 Meine  Reisegesellschaft bestand aus 2 Herren und 2 Damen. Der Eine war ein Kommunist,  wir verfolgten beide entgegengesetzte Ziele. Er war gesandt, wie einst Paulus  als er noch Saulus hieß, mit Vollmacht ausgerüstet, antireligiöse Propaganda zu  treiben und alles was ihm hindernd im Wege stand, hinter Gitter zu bringen.  Selbstverständlich durfte ich mich diesem Wolf nicht zu erkennen geben. Ich  stellte mich so zu ihm, als hätte ich auch Lust in die Partei einzutreten. Ich  fragte ihn nach allen Bedingungen zum Eintritt in die Partei, alle Vorrechte  eines Parteimannes und auch ihre Ziele. Und er erklärte mir offenherzig alles,  wonach ich fragte und noch viel mehr dazu. Und obwohl er glaubte, seine Mission  sei ihm so halbwegs an mir gelungen, so hatte ich doch das Gefühl, könnte ich  doch nur Rußland verlassen. Doch solange ich noch das Evangelium verkündigen  kann, will ich bleiben. Ich fragte ihn auch, ob sie schon einen Beweis liefern  können, das es keine Gottheit gebe. „Nein“ sagte er, „das können wir  ebensowenig, als die religiösen Leute beweisen können, daß es einen gibt.“ „O!“  sage ich, „wenn die Sachen so stehen, dann will ich bis es nicht gründlich  geklärt ist, mit einem Gott rechnen und an ihn glauben.“ „Und warum?“ fragte  er. „Nun!“ sage ich, „wenn es am Ende doch einen Gott gibt und ich mit ihm  rechne, so habe ich nichts zu fürchten. Aber wehe Euch, wenn es doch einen Gott  gibt, wo wollt Ihr dann bleiben?“ „Nun“ sagte er, „mir kann auch nichts werden,  denn ich habe ihm noch nicht geflucht und gelästert.“ So merkte ich, daß unter  der Amtstracht eine noch nicht ganz gestorbene Seele sich verbarg. Wir waren  indessen zur Station Atava gekommen, wo wir anhielten und Tee tranken. War es  schon in den russischen Auffahrtshöfen schmutzig, so schien die Urreinlichkeit  in der mohammedanischen Karawansaraj alle Grenzen zu überschreiten. Ich war  glücklich drin, ein Teeglas mitgenommen zu haben, denn die Trinkgefäße der  Mohammedaner hatten das Ausshen, als seien sie schon einjahrhundert nicht  ausgewaschen worden.
 Beim  weiterfahren, als es schon wieder finster geworden war, hatten wie eine  Katastrophe. Wir waren alle so halbwegs eingeschlafen, da mit einmal lagen wir  alle in dem oberen Teil unsere Equipage unter Klei und Gepäck vergraben. Der  Wagen war umgekippt und hatte das Unterste nach oben gekehrt. Wir waren  Kopfüber gefallen und konnten nicht viel anfangen. Der Kutscher, der  vorangesessen, war jedoch frei geblieben, so daß er vorne anfing auszupacken.  Der ein quieckte hier, der andre dort. Endlich waren wir alle frei. Die Dämchen  hatten sich zum Schlafen die Strümpfe ausgezogen und konnten nun versuchen,  wieviel Grad der Schnee hatte. Denn bis der Wagen entleert, die Sachen im  Finstern alle gefunden waren, vergingen doch zum mindesten 15 Minuten. Das gab  ein Kraval von Schelten, lachen und auch heulen. Der Fuhrmann war  wahrscheinlich auch vom Sandsteuer heimgesucht worden, die Pferde, sich selbst  überlassen, waren ausgetreten und der Wagen in einen tiefen Graben gestürzt.  Nun wurden die Pferde von der Seite angelegt, der Wagen zurück gekehrt und  wieder alles frisch eingepackt und dann gings im vorherigen Tempo wieder  weiter. Ich kann mir nicht entsinnen, daß uns dies Ereignis viel mehr geholfen,  als daß wir für einige Zeit neues Thema zur Unterhaltung hatten. Den 14. Febr.  mit Finsterwerden kamen wir endlich nach der vielbesprochenen Stadt Alma-Ata.  Nachdem ich des andern Tages meine Kleider und Betten einer Zensur unterworfen  hatte, ging ich meine Brüder suchen. Ich durfte auch nicht lange suchen, so  fand cih das Bethaus der Baptisten. Ich fand es aber verschlossen und von der  Polizei versiegelt. Man sagte mir aber, daß sie sich an einem andern Orte  versammelten.
 (Fortsetzung folgt.) 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 11. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.    Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.(Fortsetzung.)
 Der  Bruder, der hier auf dem Hofe wohnen sollte und dessen alleinige Adresse ich  besaß, war nach einer andern Stadt gezogen. Eine Adresse eines andern Baptisten  konnte mir niemand angeben. Es fand sich zuletzt ein Mann, der mir den neuen  Versammlungsort bezeichnen wollte. Wo ungefähr ich es finden könnte. Es zog  mich mit unwiderstehlicher Macht zum Postamt, denn hier könnte ein Brief auf  mich warten, und o Freude! Ein Schreiben von meiner lieben Familie hatte schon  4 Tage auf mich gewartet. Dann ging ich wieder das Bethaus aufsuchen. Als ich  endlich des Schildes ansichtich wurde, sprach ich mir selbst Glück zu, aber wie  getäuscht, als ich näher kam und lesen mußte: „Bethaus der Adventisten.“ Auch  hier auf dem Hofe wußte niemand etwas von den Baptisten. Nun blieb mir noch ein  Ausweg. Ich ging dann zum Markt und dingte einen Fuhrmann. Wir einigten uns auf  40 Kopeken. Es fuhr jedoch in der Richtung, wo ich das erstemal gewesen. „Halt“  sage ich ihm! „Von da komme ich schon, das Haus ist verschlossen. Man sagte mir  dort, daß sie sich an einem anderen Orte versammeln.“ „Ich weiß“ sagt er, „hier  unten.“ „Nein,“ sage ich, „von hier komme ich eben jetzt, das sind  Adventisten.“ „Ja dann weiß ich nicht.“ Und so sagten auch die andern alle.  Auch wußte niemand von ihnen die Adresse irgend eines Bruders anzugeben. Ich  mußte es also aufgeben in einer Stadt mit 120 tausend Einwohnern, diese  wenigen, verängsteten Individien zu finden. Verlegen und mißmutig ging ich ins  Quartier zurück.Während ich weiter darüber nachdachte, natürlich gings dabei nicht  ohne Gebete ab, schien mir mit einmal noch eine Möglichkeit vorhanden zu sein.  Ich hatte aus Pischpeck einen Brief mitbekommen, der zwar auch keine Adresse  hatte, aber einen vollen Namen trug, den Namen eines Bruders. Mit diesem Namen  ging ich ins Adreßbüro und fragte die diensthabenden Dämchen: Wo wohnt Iwan  Michailowitsch Solowjew? Nach einer Weile sagte die eine: Datschnaja Straße  Haus 22. So hatte ich doch wieder Hoffnung, jemandem zu finden. Dann wurde ich  von meinem Fuhrmann dorthin gefahren. Es war ganz auf der Außenseite der Stadt.  Wie froh war ich, als ich erst wieder Geschwistern ins Angesicht schauen  konnte. Diese Familie hatte 4 gläubige Töchter. Außerdem wohnten noch 2  Familien in demselben Hause, welches zweistöckig war. Abends kam die kleine  Hausgemeinde zusammen und fangen eins ums andere. Ich lehrte sie 3 Tischlieder  singen und las dann noch ein Wort Gottes mit ihnen. Des andern Tages kam der  leitende Bruder Diemitrij Pet. Assejef und wir beratschlagten miteinander über  meinen weitern Reiseplan. Da hier das Versammlungshaus verschlossen war, so  fanden wie es für Zweckentsprechend, daß ich zuerst nach Taldekurgan fahre,  (noch einmal 250 Kilometer weiter in das Siebenflußgebiet) und dann auf dem  Rückwege diese Stadt bediene. Da das besorgen eines Fuhrwerks für diese Reise  einen Tag in Anspruch nahm, so hatte ich Gelegenheit, mit der Buchbinderei  bekannt zu werden, da die Schwestern des Hauses sich damit beschäftigen. Auf  meine Bitte hin wurde die Banga geheißt und ich komme mich etwas von den bösen  Insekten reinigen, die sich auf der Reise ohne „Propusk“ (Zulassung, Erlaubnis  – E.K.) eingeschlichen hatten. Für den Abend hatte man eine Vesammlung in einem  Privathause anberaumt, ganz in einer Ecke der Stadt. Die Stuben waren so  gedrückt voll, daß man fast nicht atmen konnte.Den  17. Februar kam ein Bruder mit einem Fuhrwerk und brachte mich zu dem 50  Kilometer entlegenen Dorfe Nickolajewka. Hier traf ich es ganz außergewöhnlich  an. Denn der leitende Bruder der Gemeinde war auch zugleich Kommissar im Dorf.  Ich zeigte ihm meine Dokumente  und er  proklamierte eine Abendversammlung in seinem Hause. Es kam aber noch vor Abend  eine „Heuschrecke“ (so wurden die Regierungsbeamten in jener Gegend von Volke  genannt), die unsern Plan vereitelte; so daß wir die Versammlung in ein anderes  Haus verlegen mußten. Beim Abendessen fragte mich der Regierungsbeamte, der  sich als ein Mitarbeiter des Administrationsamtes aus der Stadt Alma-Ata  darstellte, von wo ich sei, wohin ich fahre, Zweck meiner Reise usw.? Seine Fragen  waren so direkt, daß ich ihm alles in unverhüllter Wahrheit sagen mußte. Ich  sagte also, daß ich Prediger des Evangeliums sei. „Und Sie?“ fragte cih, „sind  ein Parteimann, nicht war?“ „Ja wohl“ antwortet er. „Also sind wir  entgegengesetzte Elemente,“ fuhr ich weiter fort. Er schaute mich verdutzt an.  „Wie so?“ fragte et, „Wir verfolgen beide entgegengesetzte Ziele,“ sagte ich.  „Sie bauen an ein irdisches Reich und ich an ein himmlisches.“ „Darum dürfen  wir doch nicht Feinde sein, es ist ja jetzt Religionsfreiheit“ meinte er. Er  strengte sich an, häflich und bescheiden zu sein. Wer ahnte auch nur daß er  Otterngift unter seinen Lippen barg und daß mich dieses freundliche Hündchen  später sobeißen würde.
 Mein  Aufenthalt in diesem Dorfe verzog sich 5 Tage. Das Dorf zählte 60 Höfe und 12  Mitglieder der Gemeinde, und das waren alles Alte. Die armen Geschwister haben  es nicht verstanden, ihre Jugend anzuziehen zu den Versammlungen. Es  vesammelten sich nur die Alten und die Kinder trieben sich irgendwo herum. Der  Gemeindegesang glich daher auch eher einem Katzenchor als einem Sängerchor. Da  man in der Kindererziehung bei den russischen Geschwistern so sehr viel  vernachlässigte, so sah ich mich genötigt, Vorträge über chtistliche  Kindererziehung zu halten, und da solche überall mit größtem Interesse angehört  wurden, so kam ich auf den Gedanken, ein Referat niederzuschreiben „Hebung des  sittlich geistlichen Zustandes in unsern Familien,“ um es an jedem Orte  vorzulesen und wenn gewünscht, schriftlich zu  hinterlassen. Der Zustand dieser Geschwister gab den Ausschlag dazu. Nachdem  ich dann über diese Sache viel mit ihnen gesprochen hatte, baten sie mich um  Aufklärung über Bibelstunde, Bibelbesprechung, Bibelkursus usw. Von allem  hatten sie wohl schon gehört, aber das war auch alles. Als ich dann versuchte,  es ihnen auseinander zu setzten, baten sie um eine Bibelkursusstunde. Was  sollte man wohl diese Brüder in einer Stunde lehren? Ich bat meinem Herrn um  Weisheit. Nun sollten sie aber auch einige Gedanken aufschreiben. Aber das  waren eher Hühnerfüße als Buchstaben. Es verging recht viel Zeit, bis ein Satz  geschrieben worden war; und doch konnten sie ihn nachher nicht lesen. Eben so  stumpf waren sie auch im Begriff. Das denken schien fats eine Unmöglichkeit für  sie zu sein. Da erhielt ich so recht einen Einblick, was das Trunksuchts- und  Lasterleben am Gehirn eines Volkes zerstören kann. Ich versuchte auch die  Jugend einen kleinen Liedervers singen zu lehren. Aber auch hier blieb mir  nicht übrig als staunen. Wie tief hat doch das unsittliche Leben von Generation  zu Generation das Volk in den Dörfern bis zur Unfähigkeit herab gezogen.  Während man in der Stadt diesen Vers nach 10 maligem Wiederholen richtig sang,  so konnten sie hier denselben noch nicht singen, nachdem ich ihn 50 mal  vorgesungen hatte.
 Noch  einige Beispiele aus der Beobachtung. Wir halten bei Tisch die Morgenandacht.  Anstatt dabei zu sein, geht die Schwester des Hauses neben uns auf und ab,  macht sich hier und da zu schaffen, schreit auf die Kinder, die in gleicher  Weise unruhig sind und tut, als ob wir durchaus keiner Berücksichtigung  bedürfen. Ich sage: „Schwester, wie hast du nur so wenig Andachtssinn, daß du,  anstatt mit den Kindern in ordentlicher Weise bei Tisch zu sitzen, selber im  Zimmer hin und her läufst und unruhig bist. Wenn ihr später das Verderben eurer  Kinder beweinen werdet, solls mich nicht wundern. So erlangt man die  Verheißung, Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus  selig`nicht.“ Oder der Vater kommt vom Hofe in die Stube und die Kinder haben  etwas nicht an den rechten Platz hingestellt, und er fragt herausfordernd: „wer  hat das getan?“ „Iwan“ geben alle Zeugnis. Er darauf: „wo dies noch einmal  geschieht, so schlage ich dir die Zähne ein.“ Als ich später mit ihm unter vier  Augen war, sagte ich: „Bruder, wie kannst du solche Drohungen aussprechen, die  du doch nie erfüllen kannst? Ich glaube eher, sollte dein Sohn Zahnschmerzen  haben, du würdest dich schnell an einen Arzt wenden, und wie sprichst du denn,  daß du sie einschlagen willst? Auf diese Weise gewinnt ihr eure Kinder nicht.“
 Es  ist auch scheinbar das ganze Leben so eingerichtet, daß alle unsere Methoden  der Erziehung nicht anwendbar sind. Wollte ich ihnen raten, den Kindern  Spielzeug zu verschaffen, das sie Beschäftigung hätten, so ist die russische  Hütte so eingerichtet, daß zum Spielen für Kinder kein Raum bleibt. In den  meisten Fällen ist nur eine Stube warm. Diese ist zur Hälfte von einem  gemauerten Ofen eingenommen, die andere Hälfte füllt ein Bett, ein Tisch und ein  Kasten aus. Wollen die Kinder dann noch wo spielen, so sind sie immer unter den  Füßen. Und so müssen sie den langen Winter auf dem Ofen zubringen, halb  nackend, schreien sich Schimpfworte zu, stoßen und kneifen sich, beschmieren  sich von oben bis unten und dergleichen. Bekommen sie Spielzeug in die Hände,  so ist es in kurzer Zeit in Stücke zertreten. Ich verteilte auch hier, wie  überall, an Kinder kleine Bilderbücher, aber sie handelten damit ähnlich dem  vierten Tiere in Daniels Traumgesicht. Ich sagte zu den Alten: „macht eure  Versammlungen anziehend für die Kinder, damit sie gerne kommen.“ „Ja“ sagen  sie, „womit sollen wir sie anziehend machen?“ „Nun vorläufig mit Gesang.“ „Ja  wir haben niemand, der uns singen lehrt.“ „So schickt doch ein Bruder zur Stadt  und laßt ihn Stunden des Unterrichts nehmen.“ „Wem sollen wir da schicken?“  sagen sie, „Niemand von uns kann genügend schreiben und dar ohne geht’s doch  nicht.“ Ich sage weiter: „kauft euren Kindern gute Bücher.“ „Das hilft nichts“  sagen sie, „die können alle nicht genügend lesen.“ „Nun dann Musikinstrumente.“  „Wer soll Unterricht geben, es ist im ganzen Dorfe niemand, der es tun könnte.“
 Bei  den eben beschriebenen Verhältnissen muß es dem Leser klar geworden sein, daß  sich die Verkündigung der Heilsbotschaft unter diesen Leuten in ganz andern  Linien bewegen muß, wie unter unserm Volke. Da muß immer wieder Milch  verabreicht werden.
 Infolge  des schnell eingetretenen Tauwetters konnte ich meinen Weg nicht weiter  fortsetzten. Mit großer Mühe wurde ich wieder zurück zur Stadt Alma-Ata  gefahren. Als wir in den Hof der Geschwister Solowjow einfuhren, begrüßten uns  eine Anzahl freundlicher Gesichter. Ich rief ihnen entgegen: „nehmt ihr nicht  mich noch einmal auf?“ „ja,“ riefen alle wie aus einem Munde! „Wir wollten  schon nach dir schicken und dich holen lassen.“
 Den  24. Februar wurde ich eingeladen mitzukommen zum Photographen. Die Jugend der  Gemeinde fand sich hier ein und wir machten ein gegenseitiges Andenken. Dann  gingen wir einer Einladung zu folge etwa 4 Kilometer zum entgegengesetzten Ende  der Stadt zu Leuten, die noch zur rechtgläubigen Kirche gehörten, sich aber für  unsere Glaubensansichten interessierten. Die Jugend sang viele schöne Lieder  und ich hatte Gelegenheit, Gottes Wort zu lesen.
 (Fortsetzung  folgt.)
 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 18. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.   Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.(Fortsetzung.)
 Ich sprach über „die Notwendigkeit eines neuen Herzens zum  christlichen Lebenswandel“ nach Hesek. 36, 26-27. Dann wurde wieder gesungen.  Wir wurden dann mit Tee bewirtet. Als wir uns anschickten, wegzugehen, ließen  die Leute es nicht zu, ich solle noch mehr erzählen. Ich sprach dann über die  Bedienung zum Seligwerden nach Joh. 3, 16. Die Leute tranken die Botschaft wie  Wasser. Sie baten uns sehr, wiederzukommen. O was für ein Genuß ist doch eine  von Gott angewiesene Reichgottesatbeit!Am  25. Februar ging ich, meine Dokumente registrieren zu lassen. Wieder mußte ich  eine Eingabe machen, und wieder hieß es „morgen“. Ich ging aber erst den 27.  wieder hin ins Registrationsamt. Aber o Grauen! Anstatt Erlaubnis stellte man  Protokoll auf. Im ersten Moment gings mir so wie einst dem Daniel bei der  Traumdeutung, ich erstarrte für einen Augenblick. Dann aber faste ich Mut und  antwortete auf alle Fragen Wahrheitsgetreu. Die ganze Ursache war das  freundliche Hündchen mit dem ich vor 10 Tagen in Nikolajewka zusammen gestößen  war.
 Das  Protokoll war ungefähr folgenden Inhalts.
 Verhörungsprotokoll.Am  27. Februar habe ich, Vorsitzender der Abteilung des J.N.O. (so und so), der  Stadt Alma-Ata mit dem Baptistenprediger Kornelius Plett folgendes verhör  angestellt.
 1.  Frage: Wozu sind Sie nach Alma-Ata gekommen?
 Antwort:  Um zu predigen.
 2.  Frage: Wann sind Sie hier angekommen?
 Antwort:  Den 23. Februar.
 3.  Frage: Wie lange gedenken Sie sich hier aufzuhalten?
 Antwort:  3 Wochen.
 4.  Frage: Wo wollen Sie predigen?
 Antwort:  In der Stadt im Bethause der Baptisten.
 5.  Frage: Ist das Haus nicht verschlossen?
 Antwort:  Wir haben Hoffnung, daß es in nächster Zeit geöffnet werden wird.
 6.  Frage: Haben Sie noch nicht gepredigt hier in der Stadt?
 Antwort:  Ja ich habe?
 7.  Frage: Wievielmal haben Sie gepredigt?
 Antwort:  2 mal.
 8.  Frage: An welchem Datum?
 Antwort;  Den 16. und 26. Februar.
 9.  Frage: Also sind Sie schon früher hier gewesen als den 23. Februar?
 Antwort:  ja, ich reiste hier durch.
 10.  Frage: Also sind Sie auch ausgefahren in unsern Kreis und haben gepredigt?
 Antwort:  Nein.
 11.  Frage: Ich habe erfahren, daß Sie doch gefahren sind, Sie sind in Nikolajewka  gewesen?
 Antwort:  Ja, da bin ich gewesen auf meiner Durchreise nach Taldekurgan, und da ich  daselbst Brüder traf, hielt ich an, das schnelle Tauwetter hinderte mich am  Weiterfahren und ich kam zurück nach Alma-Ata.
 12.  Frage: Wer gab Ihnen die Erlaubnis, dort zu predigen?
 Antwort:  Der Dorfsvorsteher.
 13.  Frage: Zeigen Sie mir die Erlaubnis.
 Antwort:  Die geschah mündlich.
 14.  Frage: Wie können Sie sich mit einer mündlichen Erlaubnis begnügen?
 Antwort:  Weil er auch der Vorsteherder Gemeinde ist, sah er meine Dokumente durch und  lud mich ein, zur Versammlung zu kommen.
 15.  Frage: Wievielmal haben Sie dort gepredigt?
 Antwort:  4 oder 5 mal.
 16  Frage: Warum fuhren Sie dort hin, ohne sich hier erst gemeldet zu haben?
 Antwort:  Weil ich dachte, daß man sich nur am betreffenden Ort zu melden habe.
 17  Frage: Wo finden Sie so ein Gesetz?
 Antwort:  Eure Gesetze sind in jeder Republik andere, und ändern mit jedem Neumond, so  daß man`s nicht immer nachkommt, dieselben zu wissen.
 18  Frage: Und warum haben Sie hier gepredigt, ohne registriert zu sein?
 Antwort:  Das erstemal, weil ich nur einen Tag verweilte und gebeten wurde, das anderemal  wars schon nach der Eingabe der Dokumente und ich hielt mich für offiziell  berechtigt.
 19  Frage: Wer lud Sie ein zum Predigen, der leitende Aßejew?
 Antwort:  Alle luden mich dazu ein.
 20  Frage: Wo haben Sie gepredigt, das Haus ist verschlossen?
 Antwort:  In einem Privathause.
 21.  Frage: In welcher Strasse unter welcher Nummer?
 Antwort:  Das weiß ich nicht.
 22.  Frage: Wissen Sie nicht, daß Versammlungen in Privathäusern verboten sind?
 Antwort:  Die Gemeinde hatte schriftliche Erlaubnis dazu.
 23.  Frage: Wer konnte außer uns ihnen die Erlaubnis geben?
 Antwort:  Das ist nicht meine Sache.
 24.  Frage: Haben Sie sich schon im Adressbüro einschreiben lassen?
 Antwort:  Am ersten Tage meiner Ankunft war ich in der betreffenden Kanzlei und da man  mir sagte, der Hauswirt müsse mit dem Hausbuch selber kommen, so haben ich ihm  die Sache übergeben.
 25.  Frage: Wie lange sind Sie Prediger?
 Antwort:  Von anno 1920.
 26  Frage: Haben Sie diesem noch etwas hinzuzufügen?
 Antwort:  Mitnichten.
 Dann  reichte er mir das Protokoll zur durchsicht und forderte meine Unterschrift.  Ich las es und unterschrieb. Bat dann aber um die Kopie, die er mir kurz  verweigerte. Dann entließ er mich mit der Bedingung, daß ich den nächsten Tag  wieder kommen würde. So viel hatte ich ja schon gemerkt, daß es anstatt  Erlaubnis zum Predigen Arrest geben würde. Ich ging nun ins Quartier zurück,  packte meine Sachen zusammen, zog mich um und ordnete alles daraufhin, daß ich  auch auf billigen Tarief zurück geschickt werden könnte. Weil das schon mit  einigen Brüdern vor mir so geschehen war. Abends kamen einige Brüder zusammen  und wir besprachen Dinge, die mit dieser Sache zusammenhingen und legten alles  zu Füßen dessen, der gesagt hat „Ich sende Euch wie Schafe mitten unter die  Wölfe“.Der  nächste Tag gab viel nachzudenken. Der leitende Bruder Aßejew begleitete mich  bis in den Vorhof der Hölle, um zu erfahren, was man mit mir tun würde. Ich  hatte mich leicht angezogen, alles unnötige aus den Taschen entfernt, außer der  Taschenbibel, dem Notizbuch und Bleistift. Nun wurde aufs erste von dem Beamten  eine List ersonnen um uns beide voneinander zu trennen... Der Bruder wurde in  eine Kammer gerufen und die Tür verschlossen. Darauf brachte man mich in eine  andere Kammer, wo ich einen andern Beamten zur Aussicht unterstellt wurde. Als  man dann den Bruder hinaus ließ, war ich fort. Auf seine Frage, wo man mich  hingebracht, antworteten sie spöttisch: „Such ihn dir.“ So das wir beide nichts  von einander wußten!
 Hier  sollte ich nun harren, bis es dem Belialsgesinde gefallen würde, das endgültige  Urteil über mich zu fällen. Soviel wurde mir bewußt, daß ich bereits gefangen  sei. Ich hatte da nun die Gelegenheit, den ganzen Tag die aus und eingehenden  Höllengeister zu betrachten. Mehrere Diebe, die man auf frischer Tat ertappt  wurden hereingebracht. Sie schrieen und tobten sich aus, bis man sie beim  Kragen faßte und in den Keller hinunter stieß. Weiber weinten sich hier aus.  Die Eine hatte eine Sache wider ihren Mann, die andere mit der  Schwiegertochter, die dritte mit der Nachbarin. Ein Betrunkener kam und bat,  man möchte ihm arrestieren, sonst wenn er so nach Hause gehe, dann schlage er  alles herunter u.d.g.m. Bis vier Uhr harrte ich meines Schicksals. Die Stunden  schlichen so langsam wie nie.
 Endlich  nahm sich der Beamte, dem ich unterstellt worden war, meiner an! Aber alles, was  er zu tun wußte war, wieder ein Verhörungsprotokoll aufzustellen, das folgenden  Inhalt hatte.
 Verhörungsprotokoll.
 Den  28. Februar 1928 habe ich, der diensttuende der Kreismillizabteilung der Stadt  Alma-Ata (so und so) mit Kornelius Plett folgendes Verhör angestellt.
 1.  Frage: Wo sind sie geboren?
 Antwort: Im taurischen Guvernement Kreis Berdjansk,  Halbstäter Wollost, Dorf Alexandertal.
 2. Frage: Wo haben Sie noch gewohnt?
 Antwort: Im Omsker Guvernement, Slawgoroder Kreis.
 3. Frage: Wo wohnen Sie gegenwärtig?
 Antwort: K.A.S.S.R. Orloffer Wolost Dorf Nikolaipol.
 4. Frage: Was ist Ihre Hauptprofession?
 Antwort: Landwirtschaft.
 5. Frage: Was können Sie noch für Spezialitäten?
 Antwort: Müllerei, Schusterei, Schlösserei.
 6. Frage: Können Sie noch mehr?
 Antwort: Ich denke, das reicht für Euch zu.
 7. Frage: Was haben Sie für eine Schulbildung?
 Antwort: Primitive Elementarschulbildung.
 8. Frage: Wo ist Ihr Aufenthalt hier in der Stadt?
 Antwort: Datschnaja Starße Nummer 22.
 9. Frage: Wie lange wollen Sie sich hier aufhalten?
 Antwort: Drei Wochen.
 10. Frage: Womit wollen Sie sich beschäftigen?
 Antwort: das wissen Sie wohl nicht? Ich will predigen.
 11. Frage: Sind Sie dazu gesandt?
 Antwort: Selbstverständlich.
 12. Frage: Wer hat Sie gesandt?
 Antwort: Nächst Gott, der mittelasiatische Bund der  Baptisten.
 13. Frage: Wie hoch ist Ihre Gage?
 Antwort: 50 Rubel.
 Dann überreichte er mir das Protokoll zur Durchsicht und  Unterschrift. Ich bat nun zu allererst um die Kopie. Darauf gab er mir ein  Stück Papier und ich begann zu schreiben. Er verließ dann das Zimmer, kam aber  bald zurück und sagte: „Wir geben die Kopie nicht.“ Ich sage: „Sie dürfen auch  nicht, ich nehme sie mir.“ Darauf riß er mir das Papier aus den Händen und  verfetzte es vor meinen Augen in Stücke. Er laß mir nun selbst das Protokoll  vor, und verlangte dann Unterschrift. Ich sagte weiter: „Wenn Sie mir nicht die  Kopie geben unterschreibe ich auch nicht.“ „Sie haben Ihren Willen“ meinte er.  Wie aus allem zu schlußfolgern war, hatte er sich Licht darüber von einem  andern Beamten geholt, und man ging mit mir um wie mit einem gestohlenen Gut.  Als ich dann, kurz vor Arbeitsschluß in die Kanzelei des Ino zurückgerufen  wurde, war mein Aufsäher nicht gerade im Zimmer, so daß er meinte, ich wäre  entwischt. Der Inobeamte forderte eine Unterschrift von mir, daß ich am  nächsten Tage wieder erscheinen werde. Anders könnte ich nicht mehr  freigelassen werden. Gerne unterschrieb ich das um nur wieder an die frische  Luft zu kommen. Nachdem ich noch eine Weile Worte verlor um die Kopie von  alledem zu bekommen lief ich hinaus. Und gerade als ich durch die letzte Tür  schlüpfte, erblickte mich mein Aufsäher, der schon nach mir gesucht hatte. In  seiner Aufregung vergaß er die Höflichkeit und schrie: „Wo willst du hin?“  „Nach Hause,“ sage ich. „Gleich kommst du zurück!“ (Fortsetzung folgt.)
 
    Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 25. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.   Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.(Fortsetzung.)
 Und  wenn ich jetzt nicht kurze Schritte gemacht hätte zur Umkehr, dann hätte ich  wohl etwas von seinen Muskeln zu fühlen bekommen. Er trieb mich dann zu dem  Inobeamten. Der lachte tüchtig und erklärte ihm, daß ich nicht ohne Erlaubnis  gegangen sei. „Nun dann heb dich von hinen“ meinte er. So durfte ich wieder  nicht säumen fortzukommen.Wie  jubelten doch die Geschwister im Hause, als sie mich kommen sahen und meinten,  ich sei frei.
 Den  andern Tag, ob wohl oder übel nahm ich meinen Weg wieder zu der Stätte der  Ungerechtigkeit. Hier erfolgte nun die Vorlesung der Bestrafung. Fünfzig Rubel  zahlen oder eine Woche Zwangsarbeit. Das war ein seltsames Frühstück. „Wollen  Sie die Strafe hier gleich bezahlen,“ fragte der Tatausführer? „Sie glauben  wohl, daß das Geld bei mir rostet,“ entgegnete ich. „Nun dann gehen Sie jetzt  gleich in die vierte Abteilung der Stadtsmiliz, da wird man die Strafe  ersuchen.“ Als ich in die betreffende Miliz erschien, sagte der Mann: „ich habe  ihretwegen noch keine Weisung erhalten, kommen sie morgen.“ So verschob sich  die Sache von einem Tag zum andern.
 An  diesem Tage war es auch dem anhaltenden Wirken der Brüder gelungen, das Bethaus  wieder zu öffnen. Wie freuten sich alle Geschwister zu dieser Nachricht. Aber  auch diese Freude war noch wieder mit Wermut vermischt. Das Haus war nun  geöffnet, der Arbeiter fest. Heiße Dankgebete mit weiteren innigen Bitten  meinetwegen stiegen an diesem Abend zum Thron Gottes empor. Der nächste Tag war  (nach Verabredung) der Tag, an dem ich den Meinen wieder ein Brieflein schicken  mußte. Es war aber nicht so einfach zu schreiben, damit nichts von dem  Vorgefallenen zu riechen sei. Meine Lieben durften es ja um keinen Preis  erfahren, damit sie sich nicht unnötigerweise aengsteten.
 Als  ich nun bei der Miliz eine Stunde gewartet hatte, waren endlich alle Papiere  ausgeschrieben. Man hatte deren schon einen ganzen Stoß angehäuft. Ich bekam  einen Kanwoj (Begleitpersonen, in der Regel  bewaffnet (–  E.K.), der mich ins Syrawdom (Verbesserungsanstalt) brachte. Es war wieder an 5  Kilometer zu gehen, von einem Ender der Stadt   bis zum andern. Auf dem Wege dorthin sage ich zu meinem Führer: „Schauen  Sie doch mal bitte in die Mappe, die sie Tragen, auf wie lange bin ich  verurteilt?“ Er öffnete und las: „auf 14 Tage.“ Dann frage er: „hat man es  Ihnen denn nicht gesagt?“ Mir wurde gesagt auf 1 Woche. Endlich kamen wir an  ein großes eiserne Tor. In dem Tor war eine kleine eiserne Tür. Auf Anmeldung  meines Führers ging sie auf. Als wir sehr gebückt durch das kleine Loch durch  waren, schlug die Tür zu, ein großes Schloß wurde vorgelegt und ich war für 14  Tage eingesperrt.
 Auf oder in dem Hofe herrschte große Unsauberkeit. Haus an  Haus gereiht kam auch endlich dasjenige, in dem ich angeliefert werden konnte.  Ich wurde hier einem Zivilbeamten übergeben, der mich mit vielen andern der  Reihe nach, wie sie gekommen waren, aufstellte. Es geht in einer Beamtenstube  in Rußland nur immer langsam, aber in dieser Ecke ausnahmsweise. Als nun die  Reihe an mich kam, fragte der Mann: „Was für eine Spezialität können Sie?“ „O,“  sage ich „mehrere. Sagen Sie mir nur, was für Arbeit Sie hier haben. Wenn ich  wählen darf, wünsche ich mir die Buchbinderei.“ Er rief mich näher an seinen  Tisch und sagte mit etwas verhaltenem Atem: „Wollen Sie nicht lieber mit Geld  bezahlen? Die Arbeit wird Ihnen hier doch nicht gefallen.“ „Ich habe nichts,“  sagte ich verlegen. „Wir werden nicht viel von Ihnen fordern. Wir rechnen ihre  Arbeit einen Rubel 25 Kopeke den Tag. 14 Tage sollen sie arbeiten. 2 Tage  fallen ab als Ruhetage, 12 Tage machen also 15 Rubel. Wenn sie uns von dieser  Summe 25 Prozent bezahlen, also 3 Rubel 75 Kopeken, dann geben wir Ihnen eine  Quittung und ihre Dokumente und sie sind frei.“ Ich traute meinen Ohren kaum  über diese Worte. Ich fragte: „wie kann das möglich sein?“ „Ich kann es Ihnen  sagen“ meinte er. „Wir haben hier 2 Arten der Bestrafung. Die eine verlangt  unbedingte Zwangsarbeit, die andere kann mit Geld abkommen. Sie sind zwar nach  der ersteren bestraft; aber ich mache mit ihnen eine Ausnahme. Sie sind auf der  Reise und da wird es ihnen gewiß nicht angenehm sein, so lange aufgehalten zu  werden. Daraufhin sprach ich mit dem Natschalnik und er drückt auch ein Auge  zu. Wir führen die Sache durch die Bücher und sie sind derweilen wer weiß wo!“  Dabei machte er menschenfreundliche Gebärden. Es schien, als hatte ich Gnade  gefunden vor diesen Mann. Ob er ein Freund der Gläubigen gewesen, weiß ich  nicht. Genug es war zu sehen, daß hier der Herr im Spiele war. Zu meinem  größten Leidwesen hatte ich kein Geld mitgenommen. Ich bat den Manne nun um  Freilassung, damit ich Geld holen konnte. „Nein“ sagt er „das geht nicht.“  Nachdem ich aber ein heiliges Versprechen mit Unterschrift und den Rest meiner  Papiere abgegeben, ließ er mich gehen. Ich muß vor Freude sehr stark gegangen  sein, denn als ich ans Tor ankam, glaubte die Wache ich fliehe. Als ich nun  auch keinen Durchlaßschein aufweisen konnte, wurde ich sehr direkt wieder  zurückgebracht, von wo ich ausgegangen war. Ich sagte zu meinem Gönner: „Sie  treiben doch nicht Mutwillen mit mir.“ „Was ist los?“ fragt er. „Nun jetzt bin  ich zum 2 male festgenommen. Ich bedarf doch eines Durchlaßscheines.“ Dann  lachte er, zog aus einer Schachtel vom Tische ein kleines Täfelchen mit der  Aufschrift „Durchlaß genehmigt“ und gab es mir. „So“ sagt er „jetzt können Sie  ungehindert aus und eingehen.“
 Es  war schon 2 Uhr und vor Finsterwerden mußte ich zurück sein, sonst würde ich an  dem Tage schon nicht freigelassen und der Tag darauf war Ruhetag. Mein  Quartier, von wo ich Geld holen konnte, war nicht weniger als 5 Kilometer  entfernt. Es viel ziemlich dichter Regen, zudem war der Boden noch so  aufgeweicht durch das vorangegangene Tauwetter, daß man nicht wußte, wo man  hinsteigen sollte, um nicht immer stecken zu bleiben. Aber ich wattete wie mit  Unverstand durch die Straßen und sah auf nichts um mich her, um nur mein Ziel  zu erreichen. Ich merkte aber bald, daß ich mir etwas unmögliches übernommen  hatte. Denn 5 Kilometer hin und zurück konnte ich ganz unmöglich vor  Toresschluß zurücklegen. Aber der im Himmel wohnt hatte alles vorher geordnet.  Es zog mich mächtig über den Apfelmarkt zu gehen. Wie ich hinauf kam, sah ich  die Schwester des Hauses, wo ich logierte. Sie hatte soeben ihre letzten Aepfel  verkauft und besaß gerade soviel Geld, als ich brauchte. Ich lief zurück und  bald hatte ich Quittung nebst meinen unentbehrlichen Papieren in Händen und  flog wie ein freigelassener Vogel davon. Mit Jubel und Lobgesang verließ ich  den Gefängnishof. Meine eigenen Worte genügten mir nicht, den Herrn zu loben.  Ich suchte und griff nach Psalmausdrücken, meinem Gott für den gnädigen Ausgang  zu danken. Groß sind die Werke des Herrn, wer ihrer richtet hat eitel Lust  daran. Auch die Freude der Geschwister war unbeschreiblich. Wir hatten nun  wieder Hoffnung, noch miteinander erbaut zu werden.
 Jetzt  war ich wohl frei, aber noch hatte ich keine Erlaubnis zum predigen. Am 3. März  schrieb ich eine neue Eingabe folgenden Inhalts.
 Dem Administrationsamte der Stadt Alma-Ata von Bürger  Kor. Plett. Zweite Eingabe.
 Den  25. Februar 1928 machte ich eine Eingabe zwecks Registration meines  Predigerdokumentes. Anstatt Genehmigung erhielt ich 14 Tage Zwangsarbeit. Ich  habe die Strafe gebüßt und bitte jetzt, nach einer solch harten Behandlung mich  nicht weiter zu hindern in meiner Arbeit der Evangelisation im Bethause der  Baptisten im Verlauf von 3 Wochen und mich zu registrieren.
 Datum  der Eingabe 3. März 1928.
 Ich  überreichte dem selben Manne, der mich zuvor behandelt hatte, die Eingabe. (Er  kann höchstens 19 Jahre gezählt haben). „Wie sind sie so schnell entkommen?“  fragte er. „Das ist meine Sache“ sagte ich, „genug, daß sie mich  unschuldigerweise bestraft haben.“ Dann schaute er lange auf die Eingabe.  Endlich nahm er einen Schreibstift und mit Wucht zog er einen Schnörkel  darüber. Das sollte seine Unterschrift darstellen. Dann drückte er noch einen  Stempel hinzu und gab mir alles zurück, ohne auch nur ein Wort weiter zu sagen.  Ich dankte und ging.
 Nun  durfte ich frei arbeiten. Durfte während der ganzen Zeit 2 Versammlungen am  Tage abhalten. Eine allgemeine, die andere für die Brüder, die am Wort  arbeiteten. Die Versammlung für alle wechselten jede Woche, in dem wir die  erste Woche Erbauungs oder (wie die russischen Geschwister diese mit Vorliebe  nennen) Erziehungsversammlungen hatten. An diesen Versammlungen nahmen nur  Gläubige teil. Die zweite Woche wurde der Heilsplan Gottes durchgenommen, wozu  wir die Türen für alle öffneten. Die dritte Woche wurde auf Wunsch der Brüder  folgend eingeteilt: Drei Tage für Brüder, damit sie schneller vorwärts kamen,  die andern 3 Tage für die Gemeinde. In der einen Versammlung sprachen wir über  Kindererziehung, in der anderen hatten wir eine freie Unterhaltung. Ein  Austausch über Wohlklang und Unarten beim Gemeindegesang, Gebet,  Gemeindesteuer, Abendmahl und Bruderkuß. Die letzte war eine  Abschiedsversammlung. Die lieben Geschwister interessierten sich sehr für die  Arbeit. Ob auch manche 5 Kilometer zu pilgern hatten, kamen sie doch pünktlich.  Manche bekannten, daß ich gerade zur Zeit gekommen sei, um sie aus dem Grabe  der Gleichgültigkeit und Schwäche aufzurichten.
 Während  der öffentlichen Versammlungen bemerkten die Geschwister, daß die ganze Zeit  über ein in der Stadt gut bekannter Advokat daran teilnahm. Die Folgen waren,  daß man von Stund an seine Arbeit bei der Regierung nicht mehr anerkannte.  Manches wäre noch zu sagen über die Privatgespräche, die mir ungesuchter Weise  von den Geschwistern angetragen wurden. Sie würden aber zu weit führen und  sollen hier nicht weiter besprochen werden, außer nach der einen Seite hin, daß  alle sich beklagten über ihren Leitenden. Ich schloß aus alle  dem und den Beobachtungen, daß er wohl mehr  das Talent des Regierens als das des Dienens besaß. Es schickte sich auch noch  so, daß ich hier auch eine Hochzeit beiwohnen durfte. Die Brautleute baten, daß  ich sie traue. Ich sagte es ihnen aber ab aus Gründen, die zu erzählen zu weit  führen. Als dann aber die ganze Gemeinde einstimmig darum bat, sagte ich zu.  Bei der Bitte war nun noch die Beifügung, ich möchte die Hochzeit nach deutschen  Gebrauch einrichten. Ich dressierte dann erst die Brautleute ab und dann am  Tage der Hochzeit spielte sich alles so ab als bei uns. Nur mit der Ausnahme,  daß die Braut an der linken Seite des Bräutigams saß. Es war eine Menge  rechtgläubiger Zuhörer erschienen, um sich das Schauspiel mit anzusehen.  Besonders waren die jungen Geschwister interessiert daran. Sie freuten sich,  daß jetzt eine neue und bessere Methode der Hochzeitsfeier bei ihnen eingeführt  sei.
 (Schluß folgt.) 
     Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 1. August 1934, Seite 10. (gotisch) von  Elena Klassen.    Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett,  Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.(Schluß.)
 Während  meines Weilens in dieser Stadt wurde ich auch zu einigen aus der Gemeinde  Ausgeschlossenen eingeladen. Ich bat den leitenden Bruder, er möge mich  begleiten, aber er willigte nicht ein, warnte mich aber, hinzugehen. Ich konnte  doch die wiederholten Bitten nicht absagen, soll man doch gerade das Verlorene  suchen. Es stellte sich nun geraus, daß bei einer schwach versammelten  Gemeindestunde der Ausschluß dieser Familien von dem Leitenden durchgedrückt  worden war. Worüber die Mehrheit in der Gemeinde trauerte. Der  Zustand der Alma-Atiner Gemeinde dauerte mich sehr. Obzwar sie alle sehr arm  sind, suchen sie doch dem Herrn zu leben und zu dienen. Sie nahmen das Wort mit  Freuden auf. Wie schade, da solche Gemeinden oft der treuen Hirten entbehren.  Alles wäre hier gut gewesen, wenn die Krankheit um die ausgeschlossenen Brüder  nicht gewesen wäre. Die Gemeinde zählt etwa 120 Mitglieder. Die  Gesamteinwohnerzahl soll sich auf 120,000belaufen. Also trifft auf 1000  Ungläubige eine gläubige Seele.
 Die  Stadt hat vorwiegend Europäer als Einwohner. Die Häuser sind meistens  zweistöckig. Die Stadt zeigt noch überall Spuren von der anno 1921 am 20. Juni  stattgefundenen Ueberschwemmung. Große Steinblöcke fast in Hausgröße  sind mit dem Wassermasse aus dem Gebirge  mitgebracht und haben Häuser und Bäume mit sich fortgerissen und einige  Strassen haushoch zugeschüttet. Die Stadt liegt am Fuße eines hohen Berges und  hat einen Flächenraum von 8 – 9 Fuß Kilometer.
 Die  Geschw. Solowjows, bei denen ich während der ganzen Zeit aus und einging, haben  ihr Bestes getan an mir. In der Dienstleistung eiferten sie untereinander. Die  Galoschen wurden pünktlich abgewaschen, die Schuhen waren geputzt, wenn ich des  Morgens erwachte. In den 34 Tagen, in denen wir Freude und Leid miteinander  teilten, waren unsere Herzen so verbunden, daß der Abschied recht schwer wurde.
 Und  nun komme ich nochmals auf die Abschiedsversammlung zu sprechen. Ich laß ihnen  noch als letztes Wort Eb. 2, 18 vor. Es flossen auch hier recht viele Tränen.  Ich durfte es spüren, das sie mich liebten und auch Gottes Wort und seine Sache  wieder mehr liebgewonnen hatten. Es schied keiner der Brüder aus dieser  Versammlung, ohne mit einem Kuß von mir Abschied genommen zu haben. Wie besorgt  waren sie alle um mich. Wirst du auch mal wieder kommen; bist du auch versorgt  mit Essen auf den langen Weg? Und so hatte jeder eine Frage der Teilnahme. Eins  muß ich noch erwähnen: Es war  zu  rührend, als daß ichs vergessen kann. Eine arme Witwe, die gewiß nicht jeden  Tag ihre Kinder satt machen konnte, kam mir auch die Hand zum Abschied reichen.  In der Linken trug sie ein französisches Semmelbrot. Sie sagte: „Lieber Bruder,  Gott segne dich, überschwenglich. Ich habe dich in Christo so lieb gewonnen, du  hast mich über all meinen Kummer hinweggeholfen. Ich habe solche Freude während  dieser Tage gehabt an Gottes Tröstungen. Himmel und Gott sind mir so nahe  gekommen. Die Erlösung ist mir so teuer geworden, es wäre Unrecht von mir, wenn  ich dir nicht ein Wort der Ermutigung sagen sollte. Und nun nimm von meiner  Hand eine kleine Liebesgabe,“ und dabei hielt sie mir das Brötchen hin. Ich  weinte wie ein Kind ob dieses Bildes. Ich sage: „Schwester, gib das Brot deinen  Kinderchen, die würden sich sehr freuen und ich bin so reichlich schon versorgt  für die Reise, daß ich es gut entbehren kann.“ „Bruder, ich habe mir diese  kleine Liebesgabe selbst erbeten für dich, wenn du sie nicht annimmst, werde  ich nicht glücklich bleiben, muß ich doch dann immer denken, es geschah, weil  ich so gering und unwert bin.“ Was sollte ich machen, denn nun weinte auch sie.  Ich nahm das Brötchen aus ihrer Hand, wiewohl ich wußte, daß es alles war, was  sie hatte.
 Der  Abschied zog sich Stunden hin, so daß ich fürchten mußte, mein bestelltes  Gelegenheitsfuhrwerk zu verpassen. Doch während all dieser Freuden, deren Gott  mich würdigte, saß der leitende Bruder da, als ob ihn das alles nichts angehe.  Das schon war mir höchst auffällig. Und als erst alle draußen waren und nur er  und ich allein zurück geblieben, wer hätte das gedacht, da traf mich ein Schlag  von ihm, der mich fast zu Boden streckte. Er sagte nämlich: „Ich will dir nur  sagen Kornej Iwanowitsch, daß du hier mehr Schaden als Nutzen gebracht hast.“  „Erbarme“ sage ich „womit?“ darauf er: „Wenn du so willst weiter arbeiten, dann  hast du besser, du bleibst zu Hause bei deinem Handwerk.“ Ich sage: „Bruder, du  schlägst mich zu Boden!  „Ja“ sagt er  weiter, „es ist mir sehr schade, daß ich deine Arbeit nicht gleich am Anfange  abgeschnitten habe.“ „Aber, Bruder, willst du mich mit so einem Abschiedsgruße  fahren lassen? Warum hast du nicht eher etwas davon gesagt, daß wir die Sache  hätten besprechen können? Jetzt ist die Zeit so vorgerückt, das ich mich  unmöglich länger aufhalten kann. Gott verzeihe es dir.“
 Die  Jugendgruppe gab mir noch bis in den Auffahrtshof das Geleit und halfen mir  Koffer und Brotkorb tragen. Ich bin überzeugt, daß sie wirklich aufrichtig  waren in ihrer Liebe und Freude. Weil ich dort nun doch noch etwas warten mußte  auf meinen Fuhrmann, rief ich sie allein und teilte mit ihnen meinen Schmerz. Es  gab wieder ein großes Weinen und Schluchzen. Alle versicherten mir, daß sie  großen Segen gehabt und versuchten mich zu trösten. Der Jugendleiter meinte, es  gereiche ihnen einesteils zur Genugtuung, daß ich diese Erfahrung habe machen  müssen. Sonst hätte ich ihr Seufzen vielleicht nicht verstanden. „Doch trage  ihn um Jesu willen wie auch wir ihn um Jesu willen dulden.“
 So  lange mein Gefährt zu sehen war, winkten mir die Taschentücher der lieben  Sänger Abschiedsgrüße nach, bis ich ihren mitleidigen Blicken entschwunden war.  So sorgte der treue Herr für das notwendige Maß von Demütigung und auch für  entsprechende Ermutigung. Die Reise zurück auf dem Wagen währte wieder 5 volle  Tage. Ich kam also Sonnabend den 31. Mätz nach Pispeck zurück. Ich hatte an Br.  Peter Bergen, den Leitenden der Pispecker Mennoniten Br.Gemeinde  geschrieben, wenns ihnen angenehm sei, könnte  ich sie auf eine Woche besuchen. Es wartete daraufhin dann auch ein Fuhrwerk  auf mich und ich kam noch zu Sonntag nach Grünfeld. Um 2 Uhr nachts klopfte ich  an das Fenster der Wohnung Geschw. P.Bergens. Es gab ein herzliches frohes  Wiedersehen nach 2 ½ Jahren. Am Sonntag Vormittag hatten wir eine recht viel  besuchte Versammlung. Von Sonntag bis Freitag wurden die Abende auf Wunsch der  Geschwister mit Evangelisation zugebracht. Es durften 2 Seelen Frieden finden.  Am Tage machten wir in einigen Häusern Besuche. Die Armut war dort sehr groß.  Im Hause der Geschw. Isaak Penner durften wir auch über eine Jungfrau beten,  nach Jak.5. die schon 8 Jahre an der Fallsucht gelitten. So verliefen auch  diese Tage schnell und ich wurde von den Geschwistern wieder zur Stadt  gefahren. Sonntag durfte ich dann noch in der Stadtsgemeinde in 2 Versammlungen  dienen. Montag fuhr ein Bruder uns zum Bahnhof. Am 11. April kam ich  wohlbehalten zu den Meinen zurück.
 Ende. 
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