Ein anonymer Brief aus Turkestan in der "Mennonitische Rundschau" vom 30. Juli 1930, S. 12-13

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 30. Juli 1930, S. 12-13. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Rußland, Turkestan,
den 12. Juni 1930.
Wir erhielten Euren w. Brief am 26. Mai. Einen innigen Dank sei Euch dafür im Namen aller Geschwister, die ihn gelesen haben, gesagt. Auf der Gemeindestunde so was vorlesen das geht jetzt nicht mehr. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Unsere Gefangenen sitzen schon 3 Monate wegen Auswandern: Jakob A. Reimer, Pet. Penner, Lehrer Joh. Reimer, B. Bartsch, Nik. Wiebe, Gerh. Regehr, Heinr. janzen, Köppental. Dann sitzen noch Pet. Pauls und Cor. Is. Wall wegen anderes. Und so viele schmachten in der Verbannung, viele, viele sind schon umgekommen. Man macht schon Massengräber. Ihr könnt Euch garnicht denken, was hier alles vorgeht. Laßt es Euch nicht zu viel sein dreimal täglich Eure Knie zu beugen und Gott zu danken, daß Ihr so glücklich entkommen seid. O könnte uns doch auch geholfen werden! Wenn nicht, dann müssen wir in Sodom untergehen. So manchmal haben wir uns an das Wort erinnert, welches du uns noch zum Schluß vorlasest, als Ihr zum letztenmal bei uns zu Gaste waret, (Hes. 33, 30-33, nach Miniatur) und haben uns gesagt, ja wahrlich, wir haben einen Propheten unter uns gehabt und haben es nicht geglaubt. Nun glauben taten wir`s wohl, aber wir dachten nicht, daß es so schnell kommen würde. Es kommt alles mit Riesenschritten. Hier ist`s noch nicht so schlimm wie in Sibirien. Da hat man den Leuten alles fortgenommen und jetzt heißt es: Kauft euch!, aber wofür – und wo? Die Straßen sind tagsüber voll Menschen, sie laufen herum vor Angst und Hunger, wissen nicht aus noch ein, nur Elend, Jammer und Herzeleid.
Meine Schwester schreibt: sie schreien Tag und Nacht zu Gott dem Herrscher Himmels und der Erde, Er möchte sich erbarmen und sie noch einmal herausbringen aus Aegypten.
Solche die im Artell sind, bekommen 8 Pf. Auf den Esser Pajok (Verpflegungsration – E.K.). Beiseitestehende 2 Pfund. Solche, die ihnen nicht fegallen, werden einfach hinausgeworfen aus dem Kollektiv  und die stehen dann da mit dem nackten Leben. Bei uns sind die Kollektive alle auseinandergegangen, und jetzt legen sie so auf, daß sie doch alles bekommen. Hier sind noch keine ausgesiedelt worden von unserm Volke, aber einige sind aus sich selbst verschwunden. Unsere Brüder haben wir noch alle, Gott sei Dank, (gemeint sind die Prediger). O wie haben wir Euch so schwer vermißt, Euch und Johannes Janzens, vergessen werden wir Euch nie. Uns hat es hier noch nicht aufs härteste betroffen und doch segen wir unsern Untergang wie mit klaren Buchstaben vor uns geschrieben. Wir haben schon so viel zum Herrn geschrien und Buße getan, haben es Ihm bekannt und uns untereinander: „Wir haben gesündigt, Herr, wir und unsere Väter“; Er möchte uns vergeben, Er möchte doch sein Volk nicht aufreiben, sondern strafen mit Massen, aber Er schweigt. Liebe Geschwister, werdet nicht müde für uns zu beten, daß wir doch möchten im Glauben behalten bleiben. Viele werden in dieser Zeit an Seinem Wort und Seiner Führung irre. Der Psalmist sagt, er hat noch nicht gesehen den Samen  des Gereshten nach Brot gehen, und jetzt müssen Kinder Gottes hungern und darben und Er schweigt. Den Winter über wurden Vorbereitungen getroffen zum Frühjahr auszureisen, aber Täuschung. Wir haben uns schon so geprüft und untersucht, und den Herrn gebeten, Er solle uns zeigen, woran es liegt, daß Er uns nicht erhört, aber Er schweigt.
Mir fällt eben beim Schreiben ein Verschen ein und damit will ich schließen: „Und schweigt Er dir un schläft Er noch, Halt an und ruf`mit Macht. Zur rechten Stunde hört Er doch, Ist nie zu spät erwacht.“ O, könnten wir unsere Flügel schwingen, oder der Herr käme jetzt.

Eure geringen Geschwister.
   
Zuletzt geändert am 21 März, 2017