Brief von Rosalie und Gustaw Hübner aus Taschkent, Turkestan in der "Mennonitische Rundschau" vom 16. Februar 1916, Seiten 14-15

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 16. Februar 1916, Seiten 14-15. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Renata, B.C., den 2 Februar 1916. Sehr werte Rundschau!
Ich möchte noch ein paar Zeilen mitgeben, da ich hier einen Brief von Rußland habe, den ich durch deine Spalten veröffentlichen möchte. Wilhelm Kochanik, mein Nachbar erhielt selbigen vor ein paar tagen von seinem Schwager....Beiligend ist die Kopie des Briefes, den Freund Kochanik mir zum Veröffentlichen zur Verfügung stellte:
„Taschkent, den 6. Dezember 1915.
Vielgelibte Freunde Kochaniks, Schwager und Schwester! Wir müssen euch benachrichtigen, wie es uns geht. Wir können euch nur sagen, daß es uns sehr schlecht geht. Wir mußten raus von unserer Wirtschaft wegen Krieg halben. Nicht nur wir, sondern alle deutsche Leute aus der ganzen wolyhischen Guberni. Wir mußten raus den 7. Juli kurz vor der Ernte, so daß wir dies Jahr nichts geerntet haben. Auch haben wir vier Monate gereist und sind mit unserer Mutter auseinander gekommen und auch mit Schwester und Schwager Justs. Wir wissen nicht, wo sie sind hingekommen und wahrscheinlich werden sie auch nicht wissen, wo wir sind: denn wir haben dem Schwager und Schwester seinen Sohn bei uns und wissen nicht, wo sie hingefahren sind. Wir sind nach Taschkent gekommen und wohnen jetzt in die Kasernen und bekommen von der Regierung einmal Essen in 24  Stunden und keine Arbeit ist nicht, können nichts verdienen. Es ist, kurz gesagt, sehr schlecht für uns. Wer noch sein Geld hat, mit dem ist es noch; aber wer nicht sein Geld hat, der kommt zusagen bald um, und es sterben auch sehr viel Leute, und aus Kasernen sterben die Leute sehr, und es sind auch sehr viele Leute unterwegs gestorben. Seid  doch so gut, vielleicht hat die Mutter oder Schwager Just schon an euch geschrieben und die Adresse geschickt, dann schreibt uns doch und schickt uns die Adresse, oder vielleicht sind sie auch unterwegs gestorben, denn wir wissen von ihnen gar nichts.
Auch müssen wir euch berichten von unserer Gesundheit. Wir sind bis jetzt, Gott sei Dank, so ziemlich gesund, nur unsere Tochter Holdine hat sich den linken Arm verbrüht und ist auch ziemlich und oft kränklich. Auch müssen wir euch berichten, daß wir bei L.Fechner einen Brief geschrieben haben, denn weßhalb, darum, wir wissen gar nicht wo unsere Freundschaft ist geblieben hier in Rußland. Mutter oder Schwager, Schwester. Denn die Leute sind hier so zerstreut geworden, der eine hier, der andere dort. Es sind viele Männer, die ihre Frauen und Kinder haben unterwegs verloren, und viele Kinder haben die Eltern verloren, denn es war wegen diesem geschehen: Wenn der Zug auf`n Bahnhof stand und, dann gingen die Leute runter, um was zu Essen zu kaufen, und ob sie wieder retour zur Bahn kamen, indessen, indessen war der Zug fort und sie blieben stehen. Dann setzte man sich auf einen andern Zug, was gar nicht auf den Weg, wo demjenigen seine sind hingefahren, und so sind die armen Leute verstreut geworden in ganz Rußland. Es ist zu beklagen, wenn man das betrachten tut. Seid herzlich vieltausendmal gegrüßt von uns und von unserer Tochter, lieber Schwager und Schwester, samt euren Kindern. Wir verbleiben eure getreuen Freunde bis in den Tod.
Rosalie und Gustaw Hübner.
Adresse: Gorod Taschkent, 5taja Kasarma, 4. Polka Polutschitj Beshenez Gustaw Gibner.“

Soweit der Brief. Muß noch bemerken, daß Frau Kochanik ihre Mutter und Geschwister, sowie auch seine Geschwister und Freunde in russisch Polen bei Lodz gewohnt haben. Gestern bekam Frau Kochanik einen Brief von ihrer Mutter. Selbige ist von ihren Kindern Just`s auf der Reise weggekommen, und jetzt ist sie im Samarischen. Sie mußte hier nach Kochaniksschreiben, um auszufinden, ob selbige Nachricht von den anderen Kindern hatten. Aber von den andern Freunden und Geschwistern wissen Kochaniks auch nichts. Es muß doch sehr traurig in Rußland sein. Und wie mag es im Süden unter den Mennoniten aussehen?
Herzlich grüßend verbleibe ich euer Mitwanderer.
B.J.Friesen.

   
Zuletzt geändert am 11 März, 2017