Briefe von Peter Nachtifgall, Anna Riesen und Wilhelm Penner aus Chiva, entnommen aus „Herold“ in der "Mennonitische Rundschau" vom 12. April 1916, Seiten 9, 12-13

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 12. April 1916, Seiten 9, 12-13. (gotisch) von Elena Klassen.

 

(Wir entnehmen dies dem „Herold“, weil wir wissen, daß vielen unsrer Leser mit den Schwerbetroffenen mitfühlen werden. Der Herold nimmt es uns wohl nicht übel, daß wir uns diesmal soviel Freiheit nehmen. Ed. )
Hydro, Okla., den 23 März, 1916 Werter Editor!
Beiligend findest Du einen Brief, den Br. W. Penner, Chiwa, an Verwandte nach Rußland geschrieben. Diese schickten ihn dann nach Amerika. Da nun hier in Amerika recht viele Freunde sind, die gerne etwas von dem Ergehen Schwager Riesens hören möchten und in diesem Brief doch ausführlicher beschreiben wie Schwager Riesen in die Gefangenschaft und die so traurige Lage gekommen ist. (Nämlich Schw. Riesen befand sich bei Ausbruch des Krieges in Deutschland zum Besuch, und auf seiner Rückreise wurde er an der Grenze von Chiva verhaftet), möchten wir Dich ersuchen und bitten diese Briefe im Herold aufzunehmen. Der andere Brief ist von Schwester Anna selbst, den wir auch auf dem oben angeführten Wege erhielten. Vorige Woche erhielten wir dann durch eine Karte von Schwester A. direkt von Chiva die Fortsetzung des Berichtes. Wie es enden wird, können wir alle noch nicht absehen, aber seines Alters wegen können wir kaum annehmen, daß er die Strapazen durchmachen kann, denn er hat den 6. März bereits die 60. überschritten.
Grüßend,
Peter Nachtigall.

 

Ak-Metschet, den 25. Oktober, 1915.
Liebe Schwägerin!
Meinen herzlichen Dank für deinen Gruß an mich in Penners Brief. O, wie wohl tut`s dem Herzen, wenn es weiß, in der Ferne sich auch noch teilnehmende Herzen, die unser gedenken. Noch 7 Tage, dann ist es ein Jahr, als mein lieber Mann  arretiert (verhaftet – E.K.) wurde. Seine Sachen aus Tschardschai wurden alle zurückgeschickt, außer seinen Paß und der unselige Briefe von Jakob Quiring, welcher viel an dem Unglück meines lieben Mannes beiträgt. In seiner Taschenbibel fand sich einen Zettel für mich. Da schreibt mein Emil: „Liebe Anna, da ich arretiert bin, weswegen? Weiß Gott! So befehl ich dich dem lieben Gott. Suche sein Angesicht auch für mich. Er wird`s wohl machen. Und welche bittere Erfahrungen folgten ihm auf dem Füß?“ Den 14. d. M. sind es 16 Monate gewesen, als mein lieber Mann von zu Hause wegfuhr. Den 30. Juni dieses Jahres fuhr Ohm Penner und ich nach Samarkand und kamen dort den 11. Juli an. Ich durfte denselben Tag meinen lieben Mann sehen – ach, liebe Schw. unvergeßlich sind mir die Augenblicke, sein Haar war weißer geworden, abgehärmt mit Tränen in den Augen. Viermal wurde wir vorgelassen, je eine halbe Stunde. Wie kostbar waren mir die Minuten. Ist denn keine Hoffnung, keine Errettung möglich? Emils Hoffnung war noch die, daß die Herren ihn gefragt hätten: Aus welchem Gouvernement er war. Uns so sprach Emil seine Hoffnung aus, es könnte vielleicht doch so abgehen ohne den beschwerlichen Weg und zwar mit Handschellen, Füßfessel hatten sie ihm in letzter Zeit schon angelegt. Bekam aber jetzt einen Brief, in der er schreibt: - Endlich kann ich Dir schreiben, daß ich heute, 7. September nach Sibirien überführt werde in das Jeniser Gouvernement, auf welche Stelle weiß ich noch nicht. Die Zukunft liegt dunkel vor mir. Allein es wird nach dem 23. Psalm gehen. Fest hoffe ich, daß auch in Zukunft (wie bis dahin) Gottes Vaterliebe mich nicht lassen wird. Und so tragen wir den Isaak auf den Opferalter. Das Weitere weiß Gott. (Bis hier mein Mann)
Ich hatte an Herrn Pettner Prokoror (Prokuror – E.K.) in Samarkand geschrieben. Ich bat ihn herzlich um Aufschluß ob noch Hoffnung für meinen lieben Mann wär, und bekam ich vor 14 Tagen ein amtliches Schreiben, ich möchte mich an eine hähere Pravleniju (Prawlenie (russisch) Instanz – E.K.) wenden. Wie wir es jetzt machen werden, weiß ich noch nicht. Aber das weiß ich, daß Gott der Herr uns nicht mehr wird auflegen, wie wir imstande sein werden zu tragen. Mein lieber Mann dankte noch besonders für Deine Briefe und ließ Euch grüßen und so seid auch herzlich gegrüßt von eurer Anna Riesen.
Jetzt die Karte. Geschrieben den 10. Januar, 1916 alten Stils.
Liebe Geschwister! Wünsche Euch Gottes Segen zu dem bereits schon begonnenen Jahr. Was wird es uns bringen? Doch! Eine feste Burg ist unser Gott. Und Psalm 121: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen von welchen mir Hilfe kommt usw. Mein lieber Emil befindet sich auf der Fußwanderschaft unter Eskorte nach der Kesschemsker Wollost (Jeniser Gouvernement) habe seit dem 10. Dezember, 1915 noch keine Nachricht von ihm. Doch Gottes Vatergüte wird auch ihn nicht verlassen. In unserm kl. Dörfchen geht`s den gewöhnlichen Gang, nur daß alles sehr teuer wird. Br. Heinrich arbeitet und Peter hilft bei der Holzarbeit. Den Wunsch Lehrer zu werden, hat er aufgegeben. Wie lange ich noch hier in Chiwa bleibe, weiß Gott allein...
Herr Dein Wille geschehe.
In herzl. Liebe
Eure Tante.

 

Teure Geschwister in dem Herrn!
Meine Frau sagte ich müsse schreiben, besonders da Du, liebe Schwägerin wegen Br. Riesen anfragst, und wir (Frau R. und ich) im Juli ihn doch in Samarkand besucht haben. Will denn versuchen einiges zu berichten. Tiefe sehr tiefe Wege sind es, die der Herr mit Riesen geht. Einige wenige und vielleicht unvorsichtig ausgesprochene Worte, die im Gespräch mit einem Soldaten in Tscharolkui (einen Tataren aus Chiwa) hat fallen lassen, daß nun Bruder gegen Bruder (so der Tatare gegen die Türken) kämpfen müssen, wovon eine russische Frau (ebenfalls aus Chiwa) Ohrenzeugin war, ist der Grund, warum Br. Riesen so hart verurteilt worden ist. Auch hat ein Brief von Jakob Quiring, den man bei Riesen gefunden, nicht wenig dazu beigetragen, sein Urteil zu verschärfen. Quiring hat sich wohl in einem ziemlich langen Brief an Riesen in recht abfälligen Worten besonders gegen die Russische Regierung ausgesprochen. Die schärfsten Aussprüche wurden vor Gericht übersetzt und vorgelesen. Br. Riesen bat man möchte den ganzen Brief vorlesen, denn dann wäre es erwiesen gewesen, daß Quiring gerade gegen Riesen sich in solcher Weise aussprach. Der Prokuror aber erwiderte, das täte nichts zur Sache, so unterblieb`s und Riesen stand da als ein Feind Rußlands, waren solche Worte doch von seinem Bruder geschrieben (Anrede „Lieber Bruder Riesen“). Das Urteil lautete demnach auf Verschickung, Verlust der Standesehre und Zahlung der Gerichtskosten. Das ist rasch gesagt, schrieb damals Br. Riesen in seinem Brief, „allein was damit verbunden ist, weiß ich selbst noch nicht! Allein unerschütterlich fest weiß ich, daß es nicht mehr ist, als der Herr zuläßt, und wir im stande sein werden zu ertragen. Deshalb bitte ich dich (an seine Frau) um unseres hochgelobten Heilands willen, laß uns nicht murren, uns nicht hingeben dem trostlosen Schmerz! Ich etrag`diesen Schlag leichter als ich es mir selbst vorstellet. Ihm sei Lob und Preis! Der Brief war russich geschrieben und lange nach dem Urteilsspruch. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich sogleich geschrieben. Ich liebe es nicht bei den Leuten das herauszupressen, was sie nicht gerne tun. Ich bin nicht eigensinnig, mich leitet ein anderer Grund. Ich hatte auch die Absicht nicht gehabt, daß mich vor dem Gericht ein Verteidiger verteidige (Da kann ich Br. Riesen nicht ganz beistimmen, er hat ja die Mittel und hätte sich wohl einen Advokaten nehmen dürfen,) allein Wohlgesinnte in Tschardshui sagten mir, daß man es mir auf dem Gericht für deutschen Starrsinn auslegen würde – und so bat ich nun den von der Krone angestellten Verteidiger, allein er hat nicht ein Wort zu meinen Gunsten ausgesprochen, und ich bin damit auch ganz zufrieden. Ich habe wenige Fakta (Fakten? – E.K.) zu meinem Nutzen angeführt, weshalb auch der Herr Untersuchungsrichter absagte, irgend welche Erkundigung meiner Vergangenheit zu sammeln, jedoch ohne Erfolg. So habe ich auch aus Tschard. eine  kurze Bittschrift an den Taschkenter Gouverneur, Seine Exellenz H.Halkin gerichtet allein ohne Erfolg. (Und so führe ich, besser trage ich) den Isaak auf den Opferalter. Das weitere weiß Gott. Jetzt wäre es mir wünschenswert, Dich zu sehen und mit Dir zu sprechen, und wenn es nur einige Worte wäre. (Vielleicht daß Br. Penner mit Dir käme so waren meine Gedanken) allein wie es dem Allerhöchsten gefällt.“
Bis so weit aus Br. Riesens Brief. Diese letzten Worte nun waren die Veranlassung mit Frau Riesen  zu fahren. Ich konnnte mich diesesmal nur schlecht dazu entscheiden. Meine Frau und auch der größte Teil der Gemeinde wollten mich nicht fahren lassen, denn die Unruhen waren und sind auch bei uns ziemlich groß. Russisches Militär hat Chiva besetzt um die aufständigen Jemuden (Turkannen) abzuhalten, die jedoch schon einige Städte (wie Taschaut, Surlia u.a.) genommen und trotz der Russen auch besetzt halten. Gott der Herr weiß, wie noch alles werden wird. Jedoch wir fuhren und ich bin nun froh, daß wir gefahren waren. Die Hitze war zwar furchtbar groß, ich wurde krank. Es hat jedoch gegangen. Dort in Samarkand durfte ich die schon so lange entbehrte Bergluft wieder atmen und zurück hatten wir Wind auf der Schiffahrt.
Den letzten Juni fuhren wir von hier ab nach Petro-Alex. (Petro-Alexandrowsk – E.K.) gingen den 3. Juni aufs Schiff, kamen den 10. nach Tschardshuj und waren dann denn 11. in Samarkand. Da ich gute Empfehlungen mithatte kamen wir auch bald vor und durften ihn die 4 Tage unsers Dortseins jeden Tag auf eine halbe Stunde besuchen. Das waren eigene Augenblicke. Freude und Schmerz durchzogen die Herzen. Br. Riesen ist gebeugt und doch gefaßt. Er nimmt es aus der Hand des Herrn. Der Herr stärke ihm den Glauben! Die Beamten kamen im allgemeinen uns wohlwollens entgegen. Das Urteil lautet: Auf freie Verbannung nach Sibirien.
Allein wie und wann, alles noch unbekannt. Frau Riesen hat sich entschlossen, wenn Br. Riesen überführt wird, auch zu übersiedeln und mit ihrem Mann das Los zu teilen. Den 14. abends fuhren wir wieder ab; kamen den 15. aufs Schiff, d. 19. früh nach Petro – Alexandrowsk, und waren des abends in Ack-Metschet. Frau Riesen hatte nun schon zweimal zurück geschrieben und auch Sachen hingeschickt von dort, aber kam keine Nachricht, bis nun vorgestern endlich der erste Brief kam. Und wieder mehr in die Tiefe geht der Weg, aus Befehl des Natschalniks des Gefängnisses sind Br. Riesen Fußschellen angelegt worden, vom Weiterschicken aber nichts bekannt!
Ich habe auch hin und her gedacht, was man tun könnte, hatte auch schon einmal eine Bittschrift fertig an den Herrn General in Chiva, aber man riet mir ab, da das Urteil bestätigt könne nur ein Allerhöchster Gnadenakt nachgesucht werden und das wäre in gegenwärtiger Zeit. Sollte aber in Eurem Wollostamt gerichtlich nachgefragt werden wegen der Persönlichkeit Br. Riesen (Br. Riesen sagte, daß er um seinen früheren Aufenthaltsort jüngst befragt worden wäre) dann wäre ja Gelegenheit vielleicht von Euch aus etwas für Br. Riesen zu machen. Und nun dem Herrn befohlen. Der Herr schenke uns rechtes Gebet und Fürbitte!
Herzlichen Gruß an Euch und Eure Kinder, Alle! In Liebe
Wilhelm Penner.

   
Zuletzt geändert am 11 März, 2017