Brief von Jakob Mandtler aus Andrejewka, Turkestan in der "Mennonitische Rundschau" vom 1. September 1909

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 1. September 1909, Seite 8. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Asien.

Andrejewka, den 19 Juni 1909.

Wünsche dem Editor und allen Lesern den Frieden Gottes in Christo Jesu zuvor. Da auch ich so manches Interessante in der „Rundschau“ lese, von nah und fern, sowohl Freudiges wie auch Trauriges, von Bekannten und Unbekannten in der Welt, so kann ich nicht umhin, auch von hier aus Turkestan, Mittel-Asien, der lieben „Rundschau“ etwas mit auf ihre Reise durch die Welt zu geben.
Möchte zuerst Erbauliches erzählen. Der Herr unser Heiland hat auch hier seine Reichssache gefördert; wir durften vor Pfingsten noch sechs Personen durch die Taufe aufnehmen. Es sind noch mehrere, die schon Frieden gefunden, es sind auch noch Erweckte. Es geht das Wort des Herrn noch immer in Erfüllung, Joh. 14, 18: „Ich will euch nicht Waisen lassen;“ das erfahren wir auch in Mittel-Asien.
Habe auch Trauriges zu melden. Wir haben Gemeindeglieder müssen hinaus thun, die einst lebendig waren in Christo und jetzt nicht mehr verstehen, was der Herr von ihnen fordert. O das ist so schmerzlich für ein gläubiges Herz. Das Wort Johannes im 1. Brief Kap. 4,1 wird immer mehr offenbar: „Es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt,“ das fühlen wir auch schwer. Wir haben mit der Lehre der Adventisten zu kämpfen. Es ist hier nicht weit von uns ein Dorf, das sind meistens Evangelische Kolonisten aus dem Saratowschen Gouvernement. Da waren mehrere gläubig geworden, konnten sich aber nicht entschließen, die lutherische Kirche zu verlassen, jetzt können sie es. Da haben sich 17 Personen durch die Flußtaufe ihnen angeschlossen. Betet alle für uns, daß wir das helle Licht des Evangeliums hochhalten und Gottes Wort rein verkündigen.
Mir ist es immer, groß und wichtig, wenn der Herr und Heiland (Matth. 24,4) auf die Frage der Jünger über seine Zukunft spricht: „Sehet zu, daß euch nicht jemand verführet.“ Das war seine Anrede als Antwort auf ihre Frage. Der liebe Heiland hätte andere Dinge zu Anfang sagen können, aber, er läßt die Warnung vor Verführung vorausgehen.
Daß wir am Ende der Welt angekommen sind, zeigen uns die vielen verschiedenen Ereignisse, die da vorkommen. Wie ich  auch in No.23 der „Rundschau“ von den vielen Erdbeben in diesem Jahre las. O dann bittet und seufzt man: Herr, gieb uns Freudigkeit zu warten auf deinen Erscheinung! Es geht des Herrn Wort, Matth. 24,7 in Erfüllung.
Wir hier in Mittel-Asien wohnen so zwieschen den Bergen, wo auch vulkanische Elemente existieren, denn es kommt 300 Werst östlich von uns kochendes Wasser aus der Erde, wohin manche von uns, Gesundheit halber ins warme Bad reisen. Erdbeben kennen wir in Mittel-Asien auch schon. Gott unser Vater in Christo Jesu hat uns es nur noch immer leicht gezeigt, ihm sei Dank und Ehre dafür. So viel weiß ich, da ist selten ein Enrinnen wenn es kommt. Dann ist das donnerähnliche Getöse mit der Bewegung da. Ich will etwas von unserer Erfahrung hierin mitteilen, besonders von viermal. Am 22 Juli 1886, zwei Uhr morgens wurden wir geweckt durch Krachen und Erschütterung und das Knistern der Häuser; es kam aus dem Westen und ging östlich. Ehe ich aus dem Bett war, war es vorüber. Ich zog mich an und ging auf die Straße, dann sah ich, daß Br. Joh.Wiebe auf die Straße kommt. Wir hatten ziemlich Vollmond, es war sehr hell und keinen Wind. Ich gehe zu ihm und wir sprechen darüber. Da hören wir im Südwesten in der Ferne ein Getöse und so ist die Bewegung wieder da; es ging aber die stärkste Bewegung 30 Werst südöstlich an uns vorbei. Es war kein Schaden geworden. Den 24 Mai 1887, fünf Uhr und acht Uhr morgens war wieder Erdbeben und schütterte die Gouvernementsstadt Wernaja (später Alma Ata – E.K.) zusammen; bei uns war es schwächer als das erste Mal. Zum dritten Mal war es den 3. Dezember 1902, neun Uhr morgens; es schütterte Adischan (Andischan, Usbekistan – E.K.) zusammen, 300 Werst südlich von uns. Wernaja ist 500 Werst nordöstlich. Zum vierten Mal war es den 18 Jan. 1908, aber stärker als die beiden letzten Male. Inzwischen ist mehrmals eine Bewegung spürbar gewesen. Es giebt jedes Mal für das menschliche Herz auch eine Bewegung und wir als Gläubige beugen gerne unsere Kniee mit Dankbarkeit wenn der Herr uns gmädig bewahrt hat.
Wir sind jetzt nahe an der Ernte, das heißt Klee ist schon einmal geerntet und ziemlich ohne Regen gewonnen; nun folgt das Heu, und dann ausgangs Juli das Getreide; es ist ganz fruchtbar. So der Herr es ferner vor Schaden bewahrt, wird es wieder Brot geben. Der Gesundheitszustand ist befriedigend. Die Hitze ist bisher noch mäßíg gewesen.
Nun möchte ich noch an Freunde, Geschwister und Bekannte in Amerika, Preußen und Rußland einige Worte richten. Alle sind herzlich gegrüßt. Gott sei Dank, ich und meine liebe Frau sind jetzt im Alter noch gesund, zählen beide bald 66 Jahre. Wir sind von Lindenau, Molotschna im Jahre 1880 nach Asien gezogen. Möchten alle Geschwister an die „Rundschau“ schreiben, dann kann man viel mit einem Brief besorgen; ich bitte darum. Ich kann die Hand nicht mehr so regieren wie ich will, sie zittert oft beim Schreiben. Unsere Adresse ist:
Jakob Mandtler,
Russisch Asien, Turkestan, Aulieata, Andrejewka.

   
Zuletzt geändert am 19 Dezember, 2016