Brief von Abraham Görtz aus Gnadenfeld, Asien in der "Mennonitische Rundschau" Nr. 40 vom 7. Oktober 1885

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 40 vom 7. Oktober 1885, Seite 1. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Asien.
Gnadenfeld, 4 August 1885.
In Christo geliebter Bruder Harms!
Schon lange haben wir hohe Ursache gehabt an dich zu schreiben, welches aber der schweren Lage und arbeitsschweren Zeit wegen bis jetzt noch nicht geschehen ist.
Für`s Erste will ich berichten, daß uns die Gaben, die uns durch deine Vermittlung mitgetheilt sind, große Freude bereitet haben, ja sie haben uns aus vielen Bedrängnissen herausgeholfen. Die Augen gingen von Thränen über, als das Herz vernehmen durfte, daß liebe Geschwister und Freunde, bekannt und unbekannt, trotz der weiten Entfernung, Mitleiden haben mit unserer schweren Lage, welche uns getroffen hat. Zu gleicher Zeit durfte das Herz nicht schweigen, mit Lob und Dank vor den lieben Heiland zu kommen, daß Er unser Bitten und Rufen erhörte und uns Hilfe zugesandt in unserer Nothdurft und wenn`s auch über`s Meer kommen muß, so verläßt Er doch die nicht, die Ihn von Herzen anrufen.
Einen großen Dank sagen wir auch allen lieben Gebern, die uns von dem Ihrigen mitgetheilt haben, und glauben fest, daß durch dasselbe auch euch von dem lieben Heiland wird Segen zufließen.
Die Gesundheit ist in unserer Familie bis jetzt noch gut, allein bei dem Vater ist viel zu wünschen; es wird von Zeit zu Zeit mit ihm schlimmer. Was ihn in der Gegenwart quält und ängstiget ist nämlich, daß er in großer Angst herumläft und schreit, er solle umgebracht werden und zwar auf allerhand schändliche Arten, wie es ihm der Feind eingeflüstert. Sein Vetrauen auf Gott ist ganz verschwunden, und wenn Menschen ihm von seiner Angst loshelfen wollen, so glaubt er es ihnen nicht. Das ist ein schwerer Stand; der Herr möchte geben, daß er von dem loskommen und wieder zum wahren Glauben an Jesum kommen möge.
Daß der liebe Heiland will, daß alle Menschen sollen selig werden, das beweiset Er auch unter uns hier in diesem Thal, denn von Zeit zu Zeit darf man es hören, wie Sünder die Gnade Gottes preisen, wie der Herr sie aus der Finsterniß herausgerissen und versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes. Es bekehren sich recht viele Seelen zu dem Herrn und machen einen Bund durch die Taufe mit Ihm, Ihm ihr Leben ganz zu weihen, und treten ein in der Geschwister Mitte. Wenn ich es so erwäge, daß der Herr uns sündige Menschen erwählt hat zur Seligkeit und daß wir schon hier Sein Nahesein und Seinen Frieden schmecken dürfen, so fühle ich es, daß ich Ihm noch viel Dank schuldig bleibe für das, was Er an mir gethan hat.
Berichte noch, daß am 22. Juli, 3 Uhr Morgens, ein ziemliches Erdbeben uns aus dem Schlafe weckte; der Herr hat auf unserer Ansiedlung Alles aufrecht erhalten, man hört aber, daß es eine Strecke von uns ab, in einem Russendorfe, ziemlich Todte gegeben haben soll und viele Häuser eingefallen seien.

Abraham Görtz.
   
Zuletzt geändert am 18 Dezember, 2016