Reisebericht unserer Chiwaer Geschwister und eine eingegangene Spenden in der "Mennonitische Rundschau" Nr. 52 vom 24. Dezember 1884

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 52 vom 24. Dezember 1884, Seite 1. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Ein offener Brief an alle Geschwister, die uns in christlicher Liebe brüderliche Handreichung gethan,  daß wir aus Chiwa nach Amerika haben kommen können.

(Schluß)

Nach kurzem Schlaf machten wir uns wieder schnell reisefertig, frühstückten, befahlen uns im gemeinsamen Gebet der Obhut Gottes an, und gingen nach dem Bahnhof, wo wir in den Extrazug für Auswanderer stiegen und nach Bremerhafen fuhren. Hier war wieder neues Leben und Treiben. Mit großer Verwunderung betrachteten wir die prächtigen, stolzen Schiffe mit ihren hohen Masten und der vielen Takelage. Schnell mußten wir einen kleinen Dampfer besteigen, der uns zu dem großen brachte, welcher auf hoher See lag und uns für die große Reise über das weite Wasser aufnehmen sollte. – Nach mehreren Srunden legten wir bei der „Ems“, dem Seedampfer an, und das Einschiffen begann. Langsam wickelte sich der Passagierknäuel auf dem kleinen Dampfer auf, um sich dann auf dem großen wieder zusammenzuballen.
Welch unangenehmes Drängen und Schieben der Reisenden und Schelten und Fluchen der Schiffsmannschaft, die vollauf Arbeit hat, die Menschenmasse zu bergen. Endlich sind wir unten im Zwieschendeck mit den vielen Bettstellen, das für geraume Zeit unsere Wohnung sein soll, und durch dessen kleine runden Fenster nur spärliches Licht hereinfällt. Das war wieder anders, als auf der weiten Steppe, wo wir Freiheit genug hatten, uns zu bewegen, und was ist köstlicher, als die Freiheit? Aber auch andere, als auf der Eisenbahn war es, wo wir wenigstens bei den großen Bahnhöfen aussteigen und frische Luft athmen konnten. Auf Deck war zwar frische Luft genug, wenn nur das Schaukeln und Sprizen nicht gewesen wäre; dazu kam noch die garstige Seekrankheit; die Manchem arg zu schaffen machte, und das rohe, gottlose unzüchtige Gebahren mancher Passagiere, die sich in ihrem traurigen, bejammernswertden Zustand ohne Scheu gehen ließen. Wie viel Geduld hat Gott doch mit uns sündigen Menschenkindern. Da schwimmt das gewaltige Schiff mit nahezu tausend Menschen an Bord, auf den wüsten Wassern, ein kleiner Umstand kann alle Leben, alle Kunst und Sorgfalt in der Einrichtung des Kolosses, sammt diesem, vernichten. Aber gnädig leitet Gott, der Herr des Meeres und seiner Wogen, das schwimmende Haus, und beweist Langmuth und Liebe, und wehrt allem Unglück und verlängert das Leben der sündlichen Menschen, ob sie seine Liebe erkennen und Buße thun möchten. Aber sie aßen und tranken, sie tanzten und spielten und thaten nicht Buße.
Wir hatten eine gesonderte Abtheilung im Zwieschendeck erhalten, die war wegen der Nähe am Maschinenraum recht heiß war, aber doch das Gute für uns hatte, daß wir ungestört bei den Morgen- und Abendandachten waren. Auch genasen unsere Kranken trotz der drückenden Athmosphäre, in der wir uns befanden. Die „Ems“ ist ein Schnelldampfer, und so erblikten wir schon am 9, Tag unserer Reise die Küßten der neuen Welt; ein warmer Wind vom Festland her, machte den Aufenthalt auf Deck sehr angenehm. Montag Nachmittag, am 8. September, liesen wir in den Hafen von New-Jork ein. Der überaus rege Verkehr von Schiffen aller Art, welcher sich hier vor unseren erstaunten Blicken entfaltete, zeigte die Nähe der Zweimillionen-Stadt Nordamerika`s an. Da gab es viel, viel zu sehen, alles Neu und zum Theil fremd. Wieviel wird es doch in der Welt zu sehen geben, die da gemacht ist von dem, der da sagt: „Siehe, ich mache Alles neu!“ Das wird uns nicht fremd sein, in dem Neuen werden wir so heimisch sein, als wären wir da geboren, denn da ist des Vaters Haus mit seinen lieblichen und vielen Wohnungen, das Jerusalem, das unser aller Mutter ist. O wären wir da!
Bis das große Schiff fest an der Anfahrt lag, war es Abend geworden; die Ausschiffung sollte erst am nächsten Tage stattfinden. Da wurden wir noch an demselben Abend durch Bruder Heinrich Zimmermann von Nebraska freudig überrascht, der in Gemeinschaft mit einem New-Jorker Herrn ausnahmsweise die Erlaubnis erhalten hatte, für kurze Zeit das Schiff zu besteigen. Er war mit Bruder Gerhard Wiebe, ebenfalls von Nebraska gekommen, uns zu empfangen und in die neue Heimath zu geleiten. Am Vormittag des nächsten Tages wurden wir ausgeschifft, was mehrere Srunden dauerte. Die Liebe der uns entgegengekommenen Brüder überhob uns mancher Bedenken, Unannehmlichkeiten und Anstrengungen. Schon am Abend konnten wir die Eisenbahn besteigen, und rasch brauste der Zug durch dunkle Nacht dem Westen Amerikas zu.
Die Fahrt ging ohne besonderen Aufenthalt und  glücklich von Statten. Freitag, den 12. September, Nachmittags vier Uhr, am dreiundzwansigsten Tage unserer Reise von Orenburg trafen wir wohlbehalten in Beatrice ein, wo wir von den Unsern mit ungetheilter Liebe und Herzlichkeit empfangen und in ihre Häuser aufgenommen wurden. Der lange Weg um die halbe Erde ist zurückgelegt, er liegt hinter uns mit aller Mühe und Arbeit, mit aller Sünde und Untreu, aber auch mit aller Barmherzigkeit Gottes. Wir dürfen nun im Kreise lieber Freunde und Glaubensgeschwister ausruhen. Der treue Vater, der uns soweit geholfen, stehe uns auch weiterhin bei und ordne alle Wege, innere und äußere, zum Heil unserer Seele, damit wir, wenn die große Entscheidungsstunde schlägt, und die ganze Erdenreise hinter uns liegt, eingehen dürfen aus dieser Fremde, wo wir nirgends eine bleibende Stätte haben können, in das rechte Vaterland. Dazu verhelfe euch und uns der barmherzige Gott um Jesu Christi, unseres Heilands willen. Mit diesem Wunsche und nochmaligem Danke für alle aufrichtige Liebe und Hilfe verbleiben wir Eure im Herrn verbundenen geringen Brüder.
Johann Jantzen
und
Johannes Penner.

 

Der Unterzeichnete erhielt und beförderte:
Von Ungenannt, Marion, Dak., für die Siebertsche Familie in Asien bei Auölieata    $ 1.00....
J.F. Harms,
Canada, Marion Co., Kansas.

 

Bemerkungen von E. Klassen (ohne Gewähr)

In der Auswanderergruppe befanden sich Johannes Janzten und Elisabeth Schulz, die in ihren Tagebüchern diese Reise beschrieben. (s. auch Bericht). Die ganzen Tagebücher lese in dem Buch von R.Friesen „Aus Preußen über Russland und Turkestan nach Amerika. Tagebücher von Elisabeth Schultz (geb. Unruh) und Johannes Jantzen.  Überarbeitet und herausgegeben von Robert Friesen. Lichtzeichen, Lage, 2015.“

   
Zuletzt geändert am 18 Dezember, 2016