|   Es gibt so vieles zu sagen, dass man nicht weiß, wo man  anfangen soll. Die Saiten werden immer straffer angezogen, so dass man  befürchten muß, sie werden eines schönen Tages platzen! Die 16. Parteikonferenz  hat beschlossen, mehr Aufmerksamkeit der Kollektivisation, Antireligion und  strengerem Vorgehen den Kulaken gegenüber zu schenken, usw. Ja, man schenkt der  Kollektivisation mehr Aufmerksamkeit! Soeben lese ich: „Wenn im vorigen Jahre  der Ertrag der Getreidekultur von den Kollektivwirtschaften 2.5% der  Gesamtproduktion der Landwirtschaft betrug, so bildet er in diesem Jahre 5%.  Womit is solches Streben der Bauern in die landwirtschaftliche Kollektive und  solch rapides Wachsen der Kollektivbewegung zu erklären? Damit, dass  (fettgedruckt) „die Bauern durch die Erfahrung sich überzeugt haben, dass die  Wirtschaft in einem landwirtschaftlichen Kollektiv besser gestellt ist.“ Also,  soweit. Ja, der Bauer hat sich überzeugt, dass es sich in den  Kollekivwirtschaften besser lebt! Diese Ueberzeugung bringt man unsern Bauern  bei! Auf welche Art!? Können sie sich der Redensart erinnern, dass in Russland  sogar die Katzen „Senf“ lecken? Es wird gesagt, man trete ihr kräftig auf den  Schwanz, und dann fresse sie alles! Wir haben ja in nicht zu großer Entfernung  Kollektive, welche heute entstehen und morgen wieder sterben. Sollten gerade  die schlechtesten in unserer Nähe sein? Man gibt in den Zeitungen immer die „Walowaja  pribyli“ an, aber niemals die ungeheuren Summen, welche man in so einem  Kollektiv hineinsteckt! Man erzählt uns hier, dass die ersten beiden Dörfer No.  1 und 2 der Orenburger Ansiedlung räumen sollen, es soll diese Fläche in einen  daselbst sich gründenen Kollektiv miteingeschlossen werden. Wo bleiben aber  unsre Mennoniten, werden Sie fragen. Ja, sie sollen etwas weiter ab Land  bekommen und haben sie dann das Vergnügen ihre Häuser abzubrechen und zu  versetzen, und solches kann sich wiederholen. – Eine nette Perspektive, was?Es wird  erzählt, dass man auch die Alt-Samarer kollektivisiert habe, denn selbige  hätten ihr Getreide von der diesjährigen Ernte in ihren Elevator  zusammenschütten müssen, und so wollten sie auch gemeinsam ihre  landwirtschaftliche Steuer bezahlen, und zu diesem Zweck wollten sie gemeinsam  das nötige Quantum Weizen aus den Elevator verkaufen, worauf man ihnen aber  gesagt habe, das Getreide gehöre jetzt der Regierung, und die Bauern wären noch  in der Lage, aus andern Mitteln die Steuer zu entrichten. – Wr. verkaufte am 2.  Oktober durch öffentlichen Ausruf 10 Simmentaler Kühe, 3 Kuhkälber und  verschiedene Sachen, um seine landwirtschaftliche Steuer und 406 Rubel  Strafgelder, welche ihm das Gericht auferlegt hat, dieweil er scheinbar die  Köchin mehr als 10 Stunden hat arbeiten lassen. (d.h. in einem Tage !), zu  bezahlen. H.W. hat man vor 2 Wochen verurteilt, 175 Rubel Strafe zu zahlen,  dieweil seine Köchin dem Wirte geholfen hat, Ziegeln zu fahren. –
 Wir  haben in diesem Jahr hier auf Neu-Samara nur eine sehr schwache Ernte. Es hat  gegeben, jenach dem das Dorf oder die Dörfer ihr Land bearbeitet haben, von 5  Pud bis 20 Pud pro Dessiatine. Trotzdem muß unsere Ansiedlung 27,000 Pud  Getreide „islischki“ (!) (Ueberschüsse) schütten. Ein mancher Bauer fährt sein  Saatgetreide und sogar teilweise auch sein Brot weg und weiß nicht, wie es  werden soll. Die Leute werden von Seiten der Bevollmächtigten damit vertröstet,  dass ein jeder Saatgetreide zum Frühjahr bekommen soll, wer es nicht sei, ob reich  (!) oder arm! Aber leider finden sie unter 100 Mann nicht einen, der so was  glaubt, denn man kann sich ja das Rätsel nicht erklären, uns das Getreide jetzt  abnehmen und es im Frühjahr wieder abgeben! Wir wissen aus Erfahrung, dass  diejenigen, die man „Mittelbauern“ nennt, kein Saatgetreide von jeher bekommen  haben, geschweige denn die sogenannten „Wohlhabenden“ und sogar „lischentzy“  und Kulaken, und jetzt noch ein neue Sort „podkulatschniki“ (Unterkulaken). Wir  müssen ja alljährlich umsonst ein gewisses Quantum Getreide im Spreicher  zusammenschütten, welches der „Reservefonds“ genannt wird, damit im Falle einer  schlechten Ernte unsere Bauern wegen Saat nicht in Verlegenheit kommen sollen,  und so hatten wir, (d.h. die Ansiedlung) schon über 14,000 Pud Getreide liegen,  aber im vergangenen Frühjahr hat die Regierung es alle weggefahren, und in  diesem Jahre muß die Ansiedlung wiederum über 5000 im „Seljfond“ unentgeltlich  schütten, und niemand weiß, ob er je etwas bekommen wird.
 Donskoj  wurde in diesem Jahre mit landwirtschaftlicher Steur nicht so sehr hoch belegt,  3,562 Rubel (im vergangenen Jahr 7,800 Rubel), Getreide mussten wir „po  chlebosagotowke“ schütten 1800 Pud, außerdem im „seljfond“ noch 534 Pud. Für  den Weizen zahlt man von 1,14 bis 1,40 pro Pud, während das Kilo Zucker  gegenwärtig 1,58 preist. – Für das Vieh wird in diesem Jahre keine Norm  gesetzt, d.h. man darf kein Korn für’s Vieh zurückhalten. Unser Bauer würde ja  auch schon nicht viel protestieren, wenn man ihm nur die Saat und das Brot lassen  würde. Es macht sich sonderbar, z. B. der Bauer hat im ganzen 80 Pud bekommen,  zur Aussaat braucht er 70 Pud, diese 70 Pd, sagt man ihm, dürfe er nicht  antasten, die müssen bleiben zur Aussaat, dann soll er aber noch liefern an die  Regierung 50 Pud, und das übrige kann er behalten zum Essen! – Es ist  hohnsprechend! – Also 10 Pud hat er übergehalten, davon 50 abliefern und das  übrige kann er behalten. Sowas ist hier jetzt an der Tagesordnung! Bei den  Russen haust man nach dieser Richtung hin furchtbar. Dutzendweise werden  russische Bauern arretiert, das Vermögen unter dem Hammer verkauft. In der  Furcht lebend, dass es wieder ein Hungerjahr wie 1921-22 geben könne, versteckt  der russische Bauer sein Getreide. Wenn man es bei ihm findet, wird ihm alles  Vermögen konfisziert, und er selbst wird eingesteckt.
 Bei  unsern Mennoniten ist es hierin nicht so schlimm, dieweil die Verteilung des  uns auferlegten Getreides oder Geldsummen doch mehr nach wirklichem Vermögen  und Können gemacht wird. Aber unsere Zukunft liegt dunkel vor uns, denn wir  wissen heute nicht, womit man uns morgen überraschen wird. Wenn ich neute noch  „Mittelbauer“ bin, so bin ich morgen vielleicht schon  „Kulak“ oder „lischenetz“. Vielleicht stellt  man uns morgen vor die Wahl, entweder „Kollektiv“ oder aussiedeln. Gehe ich  heute in den Kollektiv, so geht ja natürlich auch totes und lebendes Inventar  mit hinein, und gefällt es mir darin nicht, so sagt man mir ganz höflich, bitte  schön, du kannst zu jeder Zeit austreten, nur bleibt dein totes und lebendes  Inventar Eigentum des Kollektivs. Am Land hast dann auch keinen Anteil mehr.  Also, das Resultat ist, du musst in dem Kollektiv eintreten, ob du willst oder  nicht, und dann weißt du doch noch immer nicht, ist der Sozialismus  vollständig? Nein, o nein, vom Sozialismus soll’s führen zum Kommunismus. Und  was ist Kommunismus? Wenn hier zwei von unsern hiesigen Kommunisten, männlich  und weiblich, sich mit einmal einig werden, dann spielen die Mann und Frau ohne  irgend registriert zu werden, geschweige denn getraut. Wenn unsere alten  Mennoniten so was sehen, dann spucken sie aus und sagen „Pfui“. Unsere jungen  Leute schauen leider schon leichter darüber hinweg. Aber wohin führt solches?  Wir sollen ja mit der Zeit alle aus einem Kessel essen, gleich gekleidet gehen  usw. usw. mit einem Worte gesagt, es soll ein Eden geben.
 Wer bis  jetzt sein Getreide nicht geliefert hat, soll als Strafe das Fünffache liefern.  Dann soll laut neuem Dekret Selbstbesteuerung (!) bis zum 15. Dezember  eingezahlt werden und sage und sprich – 50% von der eingezahlten  landwirtschaftlichen Steuer. Also, habe ich 200 Rubel Steuer gezahlt, so muß  ich 100 Selbstbesteuerung zahlen. Dann kommt Versicherung ungefähr 35 – 40  Rubel pro Wirtschaft, dann „3 Sajem industrialisazii“ usw. usw. – Futter  für Vieh ist nur wenig da, und wird  infolgedessen sehr viel Vieh abgeschafft. Täglich wird viel Rindvieh verkauft,  Pferde weniger, denn selbige sind so sehr billig. Den Roggen konnten wir nur  spät einsäen, denn es regnete immerfort nicht. Es wird noch immerfort gesät,  denn unsere Bauern sind überzeugt, dass zum Frühjahr schwerlich irgendwer  Saatgetreide haben wird, und um nicht Hungers zu sterben, riskiert man jetzt  und sät Roggen, geht er auf, ist gut, geht er nicht auf, so muß es eben gut  sein. – Soweit über die wirtschaftliche Verhältnisse hier.
 Ueber  Auswanderung – In Moskau sollen schon über 300 Familien liegen und täglich  kommen immer neue Scharen an aus allen Himmelsgegenden. Im Orenburgischen  finden täglich Ausrufe statt. Man hat daselbst schon 18 Mann arretiert nur  deshalb, dass man liquidiert und nach Amerika will. Aber das spornt die Leute  nur immer mehr an, und man lässt Häuser stehen und geht davon. Auch auf unserer  Ansiedlung fängt’s damit an. J.R.-D. hat kürzlich außer der Wirtschaft alles  verkauft und ist nach Moskau gegangen. Zwei Männer aus Krassikow wollen  ebenfalls liquidieren und nach Moskau gehen, und viele, viele sprechen davon,  wenn es sein muß, lassen sie alles stehen und liegen und gehen davon.  Wahrscheinlich wird sich dann auch hier die GPU einmischen. Wir fürchten diese  Einmischung nicht, vielleicht wird dadurch die Aufmerksamkeit der Regierung auf  uns gelenkt, Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse sich hier mit einmal anders  gestalten sollten, so würde die Emigration ins Stocken geraten. – Kann es eine  Änderung geben? Sie werden wahrscheinlich gelesen haben, dass in den höchsten  Parteikreisen Spaltungen entstanden sind, denn Bucharin ist auf Holzwege  geraten, man beschuldigt ihn, dass er den Kulaken mehr Freiheit geben will, –  also auf Trotzky’s Wege geraten ist. In den Schulen soll jetzt Antireligion  getrieben werden, und sind etliche Schulbücher so verfasst, dass das ganze Buch  davon spricht, und das Kind immer wieder davon lesen muß. Ein Orenburger Lehrer  hatte 3 Blätter aus einem Buche, welche so sehr Antireligiöses enthalten hatte,  rausgeschnitten; und hat man ihn seines Amtes als Lehrer enthoben und  eingesteckt. Alles dieses treibt den Menschen von der heimatlichen Scholle.                                  T.B.
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